Das Dershowitz-Protokoll - kultur 47 - April 2008

Die Antastbarkeit der Menschenwürde - Das Dershowitz-Protokoll von Robert Fothergill in der Werkstatt

Folter sei unter bestimmten, exakt einzugrenzenden Bedingungen und unter strenger staatlicher Kontrolle als Mittel zur Abwendung größeren Schadens zu rechtfertigen, hat der prominente amerikanische Jurist Alan M. Dershowitz in seinem umstrittenen Buch Why Terrorism works geschrieben. Die Argumentation ist schlicht: Misshandelt wird ohnehin, der Staat kann sein Gewaltmonopol nur durch völlige Transparenz und genaue Dokumentation seiner Methoden sichern. Er hat die Pflicht, jede Chance zu nutzen, um Opfer von terroristischer oder krimineller Gewalt zu vermeiden. Die Debatte um die Grenzen des Rechtsstaats ist längst auch in Deutschland wieder neu entflammt. Der kanadische Dramatiker und Drehbuchautor Robert Fothergill konstruiert in seinem 2003 (also genau ein halbes Jahrhundert nach Arthur Millers Hexenjagd) in Toronto uraufgeführten Stück Das Dershowitz-Protokoll eine fiktive Versuchsanordnung. Zum ersten Mal soll das Verfahren der ‚verschärften Befragung’ nach den von Dershowitz vorgeschlagenen und offiziell sanktionierten Regeln durchgeführt werden. Um keine Missverständnisse zu wecken: Das Protokoll ist trotz aller konkreten Realitätsbezüge eine Erfindung des Autors, allerdings mit hohem Möglichkeitswert.
Generalintendant Klaus Weise hat Fothergills Politthriller selbst übersetzt und die deutschsprachige Erstaufführung auf der Werkstattbühne inszeniert. Seine distanzierte Regie enthält sich aller vordergründigen moralischen Wertungen, sondern zeigt einen präzis funktionierenden Apparat, in dem die drei sichtbaren Akteure nach festen Spielregeln handeln. So klar wie die Signalfarben ihrer Kostüme (Fred Fenner): Grün trägt der FBI-Ermittler McCall, blau der „ausführende Beamte“ Watkin, rot die vom Justizministerium als „Monitor“ der Aktion eingesetzte Anwältin Cosentino. Alle drei sind sich ihrer Verantwortung bewusst, denn irgendwo draußen in irgendeiner Stadt der USA tickt nach Geheimdienstinformationen eine von Terroristen versteckte Nuklearbombe, die in wenigen Stunden gezündet wird. Der aus Syrien stammende, seit Jahren legal in den USA lebende Journalist Iqbal Aziz soll wichtige Informationen dazu haben.
Das Szenario in der Werkstatt (Bühne: Manfred Blößer) ist kühl und zweckmäßig. Metallisch graue Wände, weißes Neonlicht, links ein Porträt des amtierenden Präsidenten, rechts Sternenbanner, in der Mitte eine dunkle Mattscheibe vor der schalldichten Zelle der zu befragenden Person, die bereits an ein hochkompliziertes Gerät angeschlossen ist, das einen quälenden Schmerz direkt ins zentrale Nervensystem leiten kann. Steril, unblutig, nicht tödlich. Jede Maßnahme bedarf einer regelmäßig zu erneuernden Code-Eingabe, das gesamte Verfahren wird per Computer lückenlos dokumentiert. Aziz kann sich durch ein Lichtsignal melden, wenn er über die Gegensprechanlage etwas sagen will. Er bleibt unsichtbar, die durch die stufenweise gesteigerten ‚Anwendungen’ verzerrte, röchelnde Stimme leiht ihm Regieassistent Jens Kerbel. Ein leises Surren begleitet die grausam stillen Sekunden, in denen das Leiden des Gefolterten unheimlich präsent wird.
Weise inszeniert jedoch kein abstraktes Thesenstück, sondern zeigt beklemmend genau drei glaubwürdige Menschen mit ihren Zweifeln und Ängsten. Ralf Drexler spielt den ruppigen New Yorker Jack McCall, der die Ermittlung leitet. Als Cop gewöhnt an einen rauen Umgang und derbe Methoden. Er kann leise, freundlich und mit schneidender Ironie korrekt sein, um Sekunden später zum wütenden Rächer zu mutieren. Er lauert, schwitzt, brüllt – schließlich macht er seinen harten Job nicht zum Spaß, sondern weil ein Ergebnis dringend erforderlich ist. Die beiden intellektuellen Bedenkenträger, die ihm das Protokoll vor die Nase gesetzt hat, sind dabei eher lästig. Eine Frau sowieso. Tatjana Pasztor verschafft sich als souveräne Juristin Jane Co­sentino freilich schnell Respekt: elegant, selbstbewusst, sarkas­tisch rational. Eine standhafte Demokratin, die zwischen Wissen und Gewissen schwankt, ihre weibliche Sensibilität einbringt, aber vor der großen Herausforderung auch nicht einknickt. Bernd Braun als farbiger ehemaliger CIA-Agent Randall Watkin (die Maske hat ihm ein bisschen Ähnlichkeit mit Barack Obama angeschminkt) ist der feinsinnige Kopf des Teams­.­ Groß, schlank, rhetorisch versiert – ein nachdenklicher, bestens geschulter Bürokrat, der genau weiß, was er tut. Die Foltermaschine hat er vor dem Einsatz selbst erprobt. Er spricht ein Gebet, bevor er an seinem Laptop die entscheidenden Knöpfe drückt.
Die drei sind ja keine barbarischen Folterknechte, sondern Verteidiger der Zivilisation. Sie spielen das glänzend und äußerst differenziert. Keiner verlässt die Bühne unbeschädigt, denn die Verletzung der Menschenwürde des Gefolterten entwürdigt auch die Folterer. Das wäre die banale moralische Botschaft eines auf gut angelsächsische Art geschriebenen ‚well made Play’. Die groteske Botschaft ist eine zynische Kosten-Nutzen-Rechnung: Folter lohnt sich einfach nicht. Ein in Todesangst gewimmertes Wort ist für die Aufklärung eines Sachverhalts schlicht nichts wert.
Die spannende Beweisführung lohnt fraglos einen Theaterbesuch. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 75 Min., keine Pause
Im Programm bis: 31.05.08
Nächste Vorstellung: 29.04.08

Mittwoch, 15.10.2008

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