Top Dogs - kultur Nr. 22 - Dezember 2005

Tiefschläge im Boxring - "Top Dogs" von Urs Widmer im Euro Theater Central

Ganz ehrlich, wir haben's nicht in allen Theaterstatistiken nachgeprüft, ob die Inszenierung der "Top Dogs" im Euro Theater Central jetzt wirklich die 99. Variante dieser bitterbösen Abrechnung mit den Chefs ist, die inzwischen immer öfter in die missliche Situation geraten, nicht nur die "Underdogs", sondern sich selbst abwickeln zu müssen. Dass der Schweizer Autor Urs Widmer (*1938) allein mit den Tantiemen aus seinem 1996 uraufgeführten Stück sein Konto gut füllen konnte, mit den "Top Dogs" so ziemlich alle renommierten Preise im deutschsprachigen Raum abräumte und beträchtlich zur Sanierung des kurz vor der Schließung stehenden Zürcher Theaters am Neumarkt beitrug, gehört zu den liebenswürdigsten Treppenwitzen der Theatergeschichte am Ende des 20. Jahrhunderts. Der Regisseur Volker Hesse, der damals noch in Bonn inszenierte und gleichzeitig schon als Intendant am Zürcher Neumarkt sein Haus glänzend aus den roten Zahlen holte, hat diesen Parcours durch die schöne neue Arbeitswelt in den oberen Etagen der Global Players angeregt und zusammen mit Widmer aus vielen Interviews mit Betroffenen auf ein bürgerliches Trauerspiel kondensiert.
Ulrich J. C. Harz (von der Freien Szene und den armen ‚Bohemiens' clever hoch gerutscht zu den besser verdienenden Creatives in der internationalen Marketingszene und deshalb ganz genau auf der Albtraumhöhe seines auf ein zum Quartett zusammengestrichenen Figurenarsenals) fährt alle Tragödien runter auf ihre banale Substanz: Kabale ja, Liebe selten, Soko wo auch immer - der Regisseur als Kommissar oder Ringrichter. Die bewährte Ausstatterin Marijke Brinkhof hat die kleine Bühne für einen Boxkampf hergerichtet mit Zuschauertribünen hinter den Seilen und Produkt-Placement auf dem Boden (ein Programmheft haben die Kölner Bierbrauer anscheinend leider nicht mehr gesponsert). Egal: Wenn die brillante Nadja Soukup (alle


Schauspieler behalten hier wie in der Urfassung des Textes ihre Namen) als elegant lässige Frau Soukup von einer weltweit agierenden Outplacement-Agentur den braven älteren Herrn Schwarzer (Lothar Schwarzer als sanft verfetteter Trottel mit höchsten Sympathiewerten) cool in die Mangel nimmt, damit er endlich kapiert, dass er nicht mehr als Catering-Manager täglich 16 Stunden lang einen Haufen Fluggesellschaften kulinarisch dirigiert, sondern für den Rest seines Lebens nur noch kleine Brötchen backen kann, ist das schon ziemlich hart. Seine Sparringspartner Dr. Fehlauer (Knud Fehlauer als Streber mit ein paar vertrauten Ehekomplexen der männliche Blondinenwitz) und Frau Scholmann (Bettina Scholmann als eiserne Börsenfurie im schwarzen Hosenanzug) haben den Schock schon hinter sich, machen die albernen Psycho-Rollenspielchen also tapfer mit. Alle toben sich - bewusst weit unter ihrem intellektuellen Niveau - ganz brav am Punchingball aus, hecheln ein bisschen Fitness, boxen ein bisschen fies zugerichtete Konkurrenz, und lassen in absurden Szenen so wilde Rachegelüste raus, dass es alle Blue Chips in den Keller treiben müsste. Dass selbst Frau Soukup mit ihrer Mama noch ein Psycho-Hühnchen zu rupfen hat und eigentlich zu den Opfern des Lean Management gehört, ist eher ein Gag aus der Boulevardkiste.
Frau Scholmann wird am Ende jedenfalls ziemlich glücklich sein mit ihrer Entsorgung in die koreanische Provinz. Fragen Sie nach Risiken oder Nebenwirkungen einfach Ihren DAX oder dessen Ableger beim Cash-Flow bzw. den allmächtigen Gott des Share-Holder-Values. Oder laden Sie Ihren Chef einfach zu einer Bergwanderung ein, bevor die letzten Schweizer Gletscher dem Ozonloch zum Opfer fallen und man nicht mal mehr die mittlere Bürokratenelite in einer tiefen Spalte versenken kann. Das Betriebsklima wird Frau Soukup schon eisern fröhlich sicherstellen: "Denken Sie positiv!" Muss man aber nicht tun, um diesem hinreißend ironisch inszenierten Boxkampf den gebührenden Erfolg vorherzusagen. Viel Szenenbeifall den kleinen KOs zwischendurch und begeisterter Schlussapplaus bei der Premiere. E.E.K.

Aufführungsdauer: ca. 80 Min. ohne Pause
Im Programm bis: ???

Mittwoch, 17.01.2007

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