Das Jalta-Spiel / Nachspiel (Euro Theater Central, DSE)

kultur Nr. 6 - 4/2004

Virtuose Variationen über Motive von Tschechow
„Das Jalta-Spiel / Nachspiel" von Brian Friel im Euro Theater Central (DSE)

Wahrscheinlich muss man vom Ende der russischen Melancholie einen Umweg über den irischen Humor und die ungarische Lebenslust machen, um genau da anzukommen, wo Peter Tömörys Inszenierung von Brian Friels zwei dramatischen Dialogen aufhört. Die beiden Einakter des großen irischen Dramatikers sind einfach hinreißende literarische Kabinettstücke. Der Ungar Tömöry hat sie in der traumhaften Ausstattung von Melinda Lörincz im Euro Theater fast schwerelos poetisch in Szene gesetzt. Dass dieses kleine anspruchsvolle Haus überhaupt die Rechte für die deutschsprachige Erstaufführung (DSE) bekommen hat, grenzt ohnehin an ein Wunder und spricht dafür, dass es sich längst einen Ruf über die regionalen Grenzen hinaus erobert hat.
Was Tömöry mit den hervorragenden Darstellern Nadja Soukup und Bruno Tendera aus Friels raffinierten Dialog-Essays über Zeit und Vergänglichkeit macht, ist ein kleines Theaterwunder. Die beiden Geschichten sprechen ganz eigenständig für sich, auch wenn ihr eigentlicher Reiz in der literarischen Doppelbödigkeit liegt. Es sind Figuren des vor 100 Jahren gestorbenen Anton Tschechow, die Friel hier weiterdenkt.
Für die Komödie am Anfang hat Tschechows Erzählung „Die Dame mit dem Hündchen" den Stoff geliefert: Ein sanfter, eher beiläufiger Seitensprung im herbstlichen Kurort Jalta wird zur amour fou. Der alternde Lebemann Dmitry verliebt sich in die bezaubernde junge Anna, deren reicher Gatte daheim geblieben ist. Dessen Geschenk, ein Hündchen, das die beiden auf den Namen „Jalta" taufen, ist genauso fiktiv wie die unbekannten Menschen im frivolen „Jalta-Spiel", denen man am Kaffeehaustisch aufregende Biographien erfindet, bis man bei der eigenen landet. Dmitry und Anna halten in ihren Sprachspielen die Zeit an. Ganz konkret - ein glänzender Regieeinfall! - tun sie das, wenn sie im Spiel immer wieder innehalten, als ob sie für eine unsichtbare Kamera posierten: flüchtiger Liebesstillstand unterm Jaltamond. Die erotische Ernüchterung folgt schnell beim Wiedersehen in der Provinz und im Moskauer Stundenhotel.
Mit der leichtsinnig hellen Illusion der vorletzten Jahrhundertwende kontrastiert im zweiten Dialog die tragikomische Desillusionierung etwa ein Vierteljahrhundert später. Die Revolution ist vorbei, das mondäne Jalta nur noch eine Schimäre. In einer düsteren Moskauer Kneipe treffen sich - zum „Nachspiel" ganz in Schwarz - die tapfere Sonja aus „Onkel Wanja" und Andrej, der Bruder der „Drei Schwestern". Er löffelt seine dünne lauwarme Suppe, sie trägt heimlich die Wodkaflasche in ihrem Muff herum. Zwei einsame Seelenverwandte, deren Sehnsüchte kläglich gescheitert sind. Wie sie langsam und ohne Jammergebärden ihre Lebenslügen aufdecken, das zeigen Soukup und Tendera mit geradezu atemberaubender Genauigkeit. Was die beiden im ersten Dialog als existenzielle Verlorenheit spielerisch andeuten, machen sie im zweiten Dialog zur hoffnungslosen Gewissheit. Weil dabei immer wieder Tschechows Ironie aufblitzt, bleibt das traurige „Nachspiel" trotzdem ein hellsichtiges intellektuelles Konstrukt. Unbedingt sehenswert! E. E.-K.

Donnerstag, 23.11.2006

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