The Nightingales - kultur 82 - Januar 2012

The Nightingales von Peter Quilter im Contra-Kreis-Theater: Nachtigallen-Nostalgie

Nichts ist schlimmer als ein Schauspieler ohne Bühne. Das wirkliche Leben ist normalerweise nur eine mittelmäßige Version der glänzenden Existenz auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Folglich sollte man es vernachlässigen wie Jack Nightingale, der Nacht für Nacht als Pianist und geistreicher Entertainer in einem mondänen Londoner Club auftritt. Zur reiferen Jugend Ü30 zählt der hartnäckige Junggeselle durchaus. Wo sich die Küche in seiner komfortablen Wohnung befindet, müsste man ihm aber schon anhand einer Planzeichnung beweisen. In Ordnung: Wer in den elterlichen Theatergarderoben erfolgreich ignoriert wurde, ist gegen echte Gefühle relativ immun und hält späte Frühstücke für die einzige stressfreie Mahlzeit der nachtaktiven Tage.
Dass die hübsche Maggie sich gelegentlich auf seinem Flügel räkelt und seinen Morgenmantel geschmacklich eher grenzwertig findet, ist ein amüsanter Nebenaspekt. Die Beziehung ist rein professionell, zumal es nach dem üblichen Champagner genug Schlafzimmer gibt. Eng wird’s erst, wenn zwischen Spiegelei und Toast seine fast vergessenen Erzeuger inklusive Schrankkoffer voller Bühnen­utensilien auftauchen. Die alten Herrschaften können es einfach nicht lassen. Die Bühne war ihr Leben, und deshalb machen sie aus jeder Situation Theater. Das Rampenlicht ist längst erloschen für Charles und Beatrice Nightingale, die einst als berühmtes Sänger-Paar durch alle Varietés der Welt zogen. Ihre Welt ist gnadenlos passé, in den 1950er Jahren untergegangen in der Film- und TV-Unterhaltungsindustrie. Jetzt sind sie nur noch ein Ehepaar, das sich gegenseitig irgendwie scheintot angiftet. „Das Varieté starb schneller als wir“, klagt Papa Charly, während Bea irgendeinen Typen (Robert/Raimond oder sonst was mit R) jenseits des Kanals als erotische Lösung ins Auge fasst und Jack schon eine Brille braucht, um im peinlichen Chaos einigermaßen klar zu sehen.
„The Nightingales“ ist eine charmante Komödie über das Showbusiness und die Veränderungen in der Unterhaltungskultur. Der britische Autor Peter Quilter, dessen Erfolgsstück Glorious! über die berühmte reiche Gesangsliebhaberin Florence Foster Jenkins, die wunderbar jeden Ton verfehlte, 2007 im Contra-Kreis seine deutschsprachige Erstaufführung erlebte, hat seine „Nachtigallen“ diesem Theater nun zur Uraufführung überlassen. Dessen Chef Horst Johanning hat das Werk mit viel lakonischem Wortwitz übersetzt und führt auch Regie bei dem liebenswürdig verrückten Spaß mit einem Schuss rührender Nostalgie.
Der Musicalstar Leon van Leeuwenberg, im Contra-Kreis regelmäßig zu Gast seit der ungemein erfolgreichen Produktion What a feeling!, gibt virtuos den verzweifelten Jack, der seine durchgeknallten Eltern lieber heute als morgen auf einer Luxuskreuzfahrt entsorgen möchte. Jasper Vogt, nach nur 42 Jahren schon zum zweiten Mal im Contra-Kreis zu Gast, spielt die unerschütterliche alte Rampensau Charles, der den Lear noch auf der Pfanne hat und knoblauchbekränzt „La Mer“ schmettert. Zu Schiff nach Frankreich entwischt er ebenso wenig wie seine Beatrice, die nachts um vier heimlich ein Taxi nach Dover nimmt. Unheimlich komisch mimt Noëmi Priegel die alte Lady mit dem Mut zu falschen Tönen und richtiger Lebenswut. Sie hat die Tänzchen noch drauf, bei denen die Herren ihr zu Füßen lagen und ihre Börse öffneten.
Elisabeth Ebner verkörpert hinreißend die junge Sängerin Maggie, die noch alles drauf hat, aber mit ihren diversen Verehrern wenig Glück. Der aktuelle schenkt ihr notorisch weiße Lilien, was echte Grabesstimmung aufkommen lässt und Tränen in den hochprozentigen Cocktail mischt, den sie sich zu fortgeschrittener Stunde in Jacks diesbezüglich gut sortiertem Salon genehmigt. Harte Drinks gehören zum täglichen Brot im Showgeschäft, wie old Charly nur allzu gut weiß.
Glücklicherweise gibt es das Faktotum Graham, das immer alles im weißbehandschuhten Griff hat. Thomas Pohn singt und spielt nicht; er wird ernsthaft gebraucht und liefert als treuer Diener die schönste Rollenstudie der ganzen Aufführung. Er kapiert heroisch alles und nichts im Familientrubel, bleibt noch im karierten Nachhemd (Kostüme: Anja Safaan) ein Gentleman und hat zwischen Sonnenuntergang und Morgenröte immer einen ernüchternden Tee parat. Er ist ein Schatz im Wirbel der Backstage-Kalauer. Gegen die helfen nur noch die sanften „Greensleeves“, mit denen Jack den Wahnsinn einfängt.
Ab und zu haut jeder aus dem theatersüchtigen Quartett in die Pianotasten und singt, was die Kehle hergibt. Gershwins „I’ve got a crush on you“ kriegen sie alle hin. Und einmal in der Woche wird Jack den liebenswürdigen Familienclan in seiner Show zulassen. Dass Maggie irgendwann Schwiegertochter wird, ist zu vermuten, nachdem King Graham einen Glitzervorhang geöffnet und auf seiner Napfkuchenform einen stotternden Rhythmus vorgelegt hat, dem man nur noch mit Cole Porters „I get a kick out of you“ begegnen kann. Die komischen nacht­aktiven Vögel wollen ja nur spielen und tun das hier mit einer gehörigen Portion Selbstironie. Im Leben sind sie eitle Narren, auf der Bühne aber plötzlich Künstler, die ohne Publikum auch gleich auf der Titanic ihre Liegestühle tauschen könnten. Animierter Beifall mit der dringenden Bitte „Play it once more“. E.E.-K.

******
Spieldauer ca. 2 Stunden inkl.einer Pause.
Die nächsten Termine: täglich außer montags und 7.Januar bis 19.02.12

Dienstag, 21.02.2012

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.



Letzte Aktualisierung: 28.03.2024 21:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn