Der große Gatsby - kultur 82 - Januar 2012

Der große Gatsby nach F. Scott Fitzgerald in der Halle Beuel: Im Licht des Geldes

Was für eine tolle Geschichte! Attraktiver junger Mann aus einfachen Verhältnissen verliebt sich in verwöhntes reiches Mädchen, das einen ebenso reichen Sportler heiratet und den früheren Verehrer vergisst. Der glaubt jedoch an die romantische Liebe, verschafft sich mit krummen Geschäften ein riesiges Vermögen, baut sich einen Palast am Strand von Long Island direkt gegenüber dem noblen Anwesen der Angebeteten, gibt legendäre Partys, wo sich Geld- und Halbwelt, Stars und Sternchen auf seine Kosten amüsieren. Es gelingt ihm beinahe, die Geliebte zurück zu erobern. Deren Gatte hat längst ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau. Die kommt zufällig bei einem von der Gattin verursachten Autounfall ums Leben. Die Fahrerin kümmert sich nicht um das ihr völlig unbekannte Opfer und rast ungerührt davon. Ihr Mann lenkt den Verdacht auf ihren Liebhaber. Der Witwer hält den reichen Fremden für den Lover und Mörder seiner Frau und erschießt ihn und sich selbst. Aus der Traum!
Es ist der Stoff, aus dem Kolportageromane entstehen. Oder ein literarisches Meisterwerk wie Der große Gatsby, in dem der Amerikaner F. Scott Fitzgerald 1925 die ­„roaring twenties“ beschrieb. Der Autor gehörte selbst zu den Reichen und Schönen der Epoche, die er „Jazz-Zeitalter“ nannte, führte mit seiner Frau Zelda ein extravagantes Luxusleben, das mit der Wirtschaftskrise 1929 jäh endete. Er verfiel dem Alkohol und starb völlig ausgebrannt 1940 mit 44 Jahren.
Die Hauptfiguren in seinem „Großen Gatsby“ sind jung, wohlhabend, lebenshungrig, vergnügungssüchtig, selbstverliebt und verdammt einsam. In der Halle Beuel wird Nick Carraway, aus dessen Perspektive ihre Geschichte erzählt ist, eine Windmaschine auf die Bühne fahren und die weißen Blätter ihrer kurzen Romanexistenz durch die Luft wirbeln: Der Rausch ist vorbei, verweht wie der große Traum von der rauschenden Zukunft. „Ich bin nicht stolz – ich bin Dreißig“, hieß die Devise der Menschen, die sich, von ihrer inneren Leere gelangweilt, im Licht ihrer Dollars sonnten. Von ihrem äußeren Glanz bleibt nicht viel übrig in der kargen Ausstattung von Marc Thurow. Es gibt keine neofeudalen Villen und keine schicken Straßenkreuzer. Selbst die Kostüme wirken irgendwie billig wie Warenhausramsch: Keine edlen Seidenhemden und feinen Flanellanzüge, keine funkelnden Diamanten und echten Perlen – nur banaler Flitter und ein bisschen Schminke. Die Schauspieler tauchen – ähnlich wie beim Tod eines Handlungsreisenden in den Kammerspielen – im Alltagsoutfit auf und bereiten sich in der ersten Reihe des Zuschauerraums auf ihren Auftritt vor. Der Regisseur Matthias Fontheim setzt erneut auf das Stilmittel der Desillusionierung, was bei den fatalen Illusionen im Drama von Tennessee Williams perfekt funktionierte, bei der Dramatisierung des „Großen Gatsby“ (Übersetzung und Bühnenbearbeitung: Lothar Kittstein) aber einen Beigeschmack von angestrengter Illusionskonstruktion behält.
Die Bühne ist dominiert von einer Glaswand, in der sich auch das Publikum spiegelt. Klar: Alles ist Schein in dieser Spaßgesellschaft, wo die Handys dudeln wie geschmiert und der Flachsinn sich breitmacht. Von Fitzgeralds geschliffener Sprache und seiner raffinierten Symbolik bleibt nicht viel übrig in der Inszenierung, die die schillernde Atmosphäre der goldenen Zwanziger Jahre auf eine zeitlose Oberflächlichkeit reduziert. Dennoch gelingt es dem Ensemble, die Leere immer wieder aufzubrechen und die erstarrten Gefühle anzukratzen.
Sehr elegant hält Hendrik Richter als Jay Gatsby im pinkfarbenen Anzug, der eigentlich zartrosa sein sollte, die Balance zwischen Selfmademan und Träumer. James Gatz hat sich hochgearbeitet ins Milieu von Daisy, der Nina Tomczak (die bekannte Schauspielerin Nina V. Vodop’yanova hat geheiratet, Glück­wunsch!) einen feinen Hauch von tiefer Verzweiflung verleiht. Daisy ist hübsch und hilflos angesichts des großen Gatsby, der seine ganze zwielichtige Existenz nur einem Ziel gewidmet hat: der Möglichkeit seiner Liebe. Die ist das einzig Wirkliche im Reich der Erfindungen, auch wenn das Objekt seiner Sehnsucht den ganzen Emotions- und Kapitaleinsatz nicht wert ist. „Her voice is full of money“ lautet einer der zentralen Sätze im Original. Das ist das triste Geheimnis, dem Gatsby und ­Daisy auf die Spur kommen.
Völlig geheimnislos bleibt Daisys Ehemann Tom Buchanan, den Falilou Seck nicht als brutalen Draufgänger spielt, sondern als Typen aus stinkreicher Familie, der die ganzen Upper-Class-Finessen satt hat und sich lieber mit was Schlichterem vergnügt. Birte Schrein spielt wunderbar selbstbewusst die naive Tankwartsgattin Myrtle, die aus ihrer Ödnis raus möchte, sich für den spendablen Tom auftakelt und wie ein putziges, leicht peinliches Schoßhündchen abgefertigt wird. Oliver Chomik gibt den braven Underdog, der nach dem Unfalltod seiner Frau wütend Amok läuft. Als kapriziöses, cooles Partygirl Jordan macht Maria Munkert gute Figur im mondänen Spiel, das Nick ebenso fasziniert wie angewidert beobachtet. Birger Frehse verkörpert mit feinen Nuancen den teilnehmenden Außenseiter, der wegen seiner Nicht-Dazugehörigkeit von allen ins Vertrauen gezogen wird. Er wird sich kümmern um das Begräbnis seines wehmütigen Freundes Gatsby, der nackt zwischen Rosenblättern in seinem Pool den ewigen Frieden fand. Auf seinem letzten Weg begleitet wird der kurz zuvor noch so strahlende Held nur von seinem Vater (Günter Alt, der u. a. auch als windiger Geschäftsboss Meyer Wolfsheim – dass sie mit „Software-Raubkopien“ ihre fette Knete gemacht haben, mag glauben wer will – ein paar absurd komische Momente einbringt). Papa ist echt stolz auf die Marmorsäulen und den zauberhaften Garten, den sein tüchtiger Sohn sich leisten konnte. Der Junge hat’s doch immerhin geschafft bis zur tragischen Fallhöhe. Der Rest ist so trivial wie die Vorstellung, die hier als falsches Leben verkauft wird. E.E.-K.

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Spieldauer ca. 90 Minuten, keine Pause.
Im Programm bis ???

Dienstag, 21.02.2012

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