Tamerlano - kultur 75 - April 2011

Einsame Leidenschaften - Tamerlano in der Oper

Die fünf Personen werden sich nie körperlich berühren, auch wenn ihre Stimmen sich in wunderbarer Harmonie vereinen. Sie bleiben sehr allein in dem fantastischen Kunstraum, der in der Inszenierung von Georg Friedrich Händels 1724 uraufgeführter Oper Tamerlano eine Hauptrolle übernimmt. Im Bühnenbild von Johannes Leiacker schieben sich aus einer riesigen mit schwarz-weißen Würfeln bedeckten Wandfläche ständig kompakte Teile heraus, stellen sich quer, drehen sich, schaffen irritierende Blickwechsel zwischen Auf- und Untersicht. Was aus einer Perspektive stabil nach oben gebaut erscheint, wird aus der anderen zu einer bedrohlich hängenden Masse und erinnert an die Stalaktiten der orientalischen Architektur. Dazwischen erscheinen perspektivische Zeichnungen von nirgendwohin führenden Treppen und Toren eines Palastes, die an M.C. Eschers fantastische Raumkonstruktionen und G.B. Pira­nesis Carceri erinnern und sich als Bühnenbildentwürfe entlarven – mit Orfeo ist eins markiert. Es ist ein raffiniertes Spiel mit optischen Täuschungen, Zwei- und Dreidimensionalität, filigraner Abstraktion und konkreter Illusion, in dem der Regisseur Philipp Himmelmann seine Schachbrett-Figuren agieren lässt. Sie behaupten kunstvoll große Oper, zelebrieren in kostbar gesungenen Arien barocken Rampengesang in schönster Vollendung und sind dabei immer verzweifelt auf der Suche nach dem wirklichen Leben. Sie stehen isoliert unter Hochdruck zwischen Macht, Liebe, Ehre und Tod. Es gibt kein Vertrauen mehr zwischen diesen zu Ruhm oder Untergang verpflichteten Menschen.
Die schöne junge Asteria (Emiliya Ivanova, ein vielversprechendes neues Soprantalent im Bonner Ensemble, alternierend mit der ebenfalls neuen Judith Gauthier) setzt sich schon zur Ouvertüre vor dem transparenten Vorhangschleier das Messer an Hals und Kopf, das am Ende für die einzigen roten Farbflecken im strengen Schwarz-Weiß sorgen wird. Sie ist im unschuldsweißen Kleidchen und weißen Schnürstiefelchen das Objekt des Begehrens in der männlichen Herrscherwelt. Himmelmann stellt sie ins Zentrum der emotionalen Wirbelstürme, die Händels Musik entfacht. Unter der Leitung des Barockspezialisten Rubén Dubrovsky, dessen internationale Opernkarriere 2008 in Bonn mit Vivaldis Orlando furioso begann, spielt das Beethoven-Orchester Bonn in kleiner Besetzung einen bis in feinste Tonverästelungen brillanten Händelsound, wie man ihn selten hört. Hier wird vielschichtig kommentiert, was auf der Bühne seinen bösen Lauf nimmt.
Der für seine Grausamkeit berühmte Tartarenfürst Tamerlano hat sich in Asteria, die Tochter des von ihm gefangen genommenen osmanischen Sultans Bajazet, verliebt und will sie zu seiner Frau machen. Die großartige Mezzosopranistin Mariselle Martinez singt den Tamerlano mit einer ungeheuren Strahlkraft. Mit weißer Kurzhaarfrisur und elegantem höfischen Anzug (schöne Kostüme mit Andeutungen ans Barock: Katherina Kopp) spielt sie ihn nicht als grausames Ungeheuer, sondern als tatsächlich Liebenden, der von seiner Eifersucht und Verletztheit zur Raserei getrieben wird. Ein melancholischer Intrigant ist der junge Griechenprinz Andronico, wunderbar verkörpert von dem als neuer Countertenor-Star international gefragten Antonio Giovannini. Er liebt Asteria, erfährt entsetzt von Tamerlanos Heiratsplänen, scheint aber nicht ganz abgeneigt, sie für den versprochenen Machtgewinn herzugeben. Ein Schönling, der mit bloßem Oberkörper hilflos zu Boden geht und für die Geliebte kaum eine Stütze ist. Im Gegenteil: Er quält sie mit Vorwürfen, nachdem sie zum Schein auf Tamerlanos Verlobungsangebot eingegangen ist.
Wenig Hilfe findet sie auch bei ihrem Vater Bajazet, der ihr die Verantwortung für sein Leben aufzwingt. Umbringen will er sich, wenn sie sich dem verhassten Feind hingibt. Der Tenor Mirko Roschkowski glänzt in dieser gesanglich höchst anspruchsvollen Partie. Er ist der gedemütigte Herrscher, der nur die eigene Ehre im Blick hat. Sein qualvolles Sterben, nachdem er sich selbst vergiftet hat, gehört zu den eindrucks­vollsten Momenten der Aufführung. Das ist kein heroischer Tod, sondern eine rücksichtlose Flucht aus dem unerträglich gewordenen Leben. Er kämpft nicht um seine von brutaler Vergewaltigung bedrohte Tochter, sondern sieht darin nur die eigene Schande. Ungerührt schaut Tamerlanos Verlobte Irene von Trapezunt dem mörderischen Treiben zu. Die Mezzosopranistin Susanne Blattert im raffinierten silbergrauen Kleid will Asteria, die unfreiwillig zu ihrer Rivalin geworden ist, ausschalten und vereitelt durchaus eigennützig deren Mordversuch an Tamerlano.
Alle sehnen sich nach einer friedlichen Auflösung der Loyalitätskonflikte und Vernichtungspläne. Händel hat die Versöhnung komponiert und vereint nach Bajazets Tod alle Stimmen, zu denen sich unsichtbar noch der Bass von Sven Bakin gesellt, zu einem jubelnden Schlusschor. Himmelmann verweigert das abrupte Happy End und lässt die Figuren im Licht von Thomas Roscher allmählich verschwinden, während Asteria einsam zurückbleibt und das Messer an Kopf und Hals setzt. Nicht direkt ins Herz – sie will nach allem nicht einmal mehr eine schöne Leiche sein.
Die Ambiguität von oben und unten, innen und außen, prägt diese grandiose, ungemein kluge Inszenierung. Musikalisch lässt sie nichts zu wünschen übrig. Ein starker weiterer Schritt auf dem Weg der Pflege der Barockoper in Bonn. Ein absolutes Glanzstück, das entschieden eine Reise wert ist. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 ½ Std., eine Pause
Im Programm bis: 09.06.11

Dienstag, 06.12.2011

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