Das Pilatus-Evangelium - kultur 36 - April 2007

Das Kreuz mit der Aufklärung - Das Pilatus-Evangelium von Eric-Emmanuel Schmitt im Kleinen Theater

Es wurde eine große Geschichte, von deren Beginn der französische Erfolgsautor Eric-Emmanuel Schmitt in seinem Stück Das Pilatus-Evangelium erzählt. Schmitt, dessen bekanntestes Werk Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran in dieser Spielzeit bereits im Kleinen Theater zu sehen war, beschäftigt sich seit längerem mit den großen Weltreligionen und beherrscht die sprachlich feingeschliffene Leichtigkeit des Denkens als studierter Philosoph wie kaum ein anderer Gegenwartsdramatiker. Den spannenden Bibel-Krimi um eine verschwundene Leiche hat Prinzipal Walter Ullrich an seinem Kleinen Theater Bad Godesberg jetzt selbst inszeniert und gleich auch noch die Titelrolle des römischen Prokurators Pontius Pilatus übernommen. Zunächst jedoch überlässt er in dem Vorspiel Die Nacht der Ölbäume dem jungen Jeschua das Wort, der im Garten Gethsemani nach dem Abschiedsmahl mit seinen Gefährten voller Todesangst auf seine Verhaftung und die Schmerzen von Folter und Kreuzigung wartet. Jürgen Clemens spielt den schlichten Zimmermannssohn aus Nazareth menschlich sehr anrührend. Er erinnert sich an seine Kindheit, an seine Liebe zur schönen Rebekka, an seine vom Mitleid mit den Armen ausgelöste Unfähigkeit zum privaten Glück, die spektakuläre Taufe durch seinen Vetter Johanaan im Jordan, den merkwürdigen Aufstieg zum von den Juden ersehnten Messias (bei etlichen „Wundern“ könnten die begeisterten Jünger nachgeholfen haben, bei der Auferweckung von Rebekkas einzigem Sohn muss wohl Gott mitgewirkt und Jeshua sanft in die Rolle des Erlösers gezwungen haben), an Herodes' politische Korrumpierungsversuche und den besten Freund Judas, der vom göttlichen Heilsplan so überzeugt ist, dass er ihn mit einem grausamen Verrat erfüllen muss.
Schnitt: Die von Pilatus widerwillig angeordnete Kreuzigung ist vollstreckt. Eine unheilige Allianz aus religiösen Fanatikern und machtversessenen Politikern hat ihm aus allzu durchsichtigen Gründen die Hinrichtung eines Unschuldigen aufgezwungen. Der Fall Jeschua - angesichts größerer Probleme sowieso eher nebensächlich - ist für den Bürokraten Pilatus eigentlich abgeschlossen. Seinem Schreiber Sextus (pfiffig dienstfertig und spielerisch glänzend: Fritz-Peter Schmidle) diktiert er seine ganze Wut auf das dreckige Intrigantennest Jerusalem in die Feder. Und dann ist plötzlich das Grab des zuverlässig gekreuzigten Jeschua leer; irgendwelche Verrückte sollen ihn sogar lebend gesehen haben. Dafür muss es rationale Erklärungen geben. Ein wiederauferstandener Friedensprediger könnte ganz Palästina in Flammen setzen und das mühsam erarbeitete politische Gleichgewicht aus den Angeln heben. Walter Ullrich spielt den des Streitens müden und gleichzeitig hellwachen Kommissar Pilatus eher als nachdenklichen Kopfmenschen denn als brutalen Potentaten. Alle seine Aufklärungsversuche führen jedoch zu neuen Fragen und Zweifeln. Haben sich die medizinischen Sachverständigen bei der Feststellung von Jeschuas Tod geirrt? Gibt sich Jeschuas Lieblingsjünger Johanaan unter seiner Kapuze jetzt als auferstandener Messias aus? Warum ist Pilatus' todkranke Gattin Claudia nach einer kurzen Begegnung mit Jeschua wieder gesund geworden? Der ängstliche Joseph von Arimathäa (Frank Ferner) und die durchgeknallte Königin Herodias (schrill komisch: Dana Cibulla) tragen wenig zur Aufklärung bei.
In kurzen, fast filmisch hart aneinandergeschnittenen Szenen (reizvoll ausgestattet von Ottowerner Meyer) wird Pilatus' zunehmende Verunsicherung dramatisch geschickt ausgeleuchtet. Die bombastische Musik stammt von John Debney, der auch schon die Tonspur zu Mel Gibsons umstrittenem blut- und schweißtriefendem Hollywood-Spektakel Die Passion Christi lieferte. Der leisen Verstörung durch einen kleinen friedfertigen Extremisten, der ganz naiv mit der Liebe zu den Menschen die Welt veränderte, muss sich schließlich auch Pilatus beugen. Eine große Geschichte voller Rätsel, die in dieser klugen Inszenierung trotz aller irdischen Verwicklungen nicht verkleinert wird. Genau das Richtige für die Osterzeit!
Ein Sonderlob verdient übrigens das von Philipp Ullrich gestaltete informative Programmheft. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 100 Minuten ohne Pause
Im Programm: bis 24.04.07

Samstag, 02.01.2010

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