F.A.R. - kultur 78 - Juli 2011

Erforschung des Körpers: F.A.R. im Opernhaus

Mit der Hirnforschung beschäftigt sich der britische Starchoreograph Wayne McGregor seit langem. Sein neues Stück F.A.R., das beim Bonner Gastspiel seiner Truppe Random Dance seine deutsche Erstaufführung erlebte, ist auch ein erkenntnistheoretischer Essay. Der Titel spielt an auf das Buch Flesh in the Age of Reason des Medizinhistorikers Roy Porter, in dem er das Verhältnis von Körper und Geist im Zeitalter der Vernunft untersucht. In der Epoche der Aufklärung begann man, die menschliche Anatomie experimentell zu erforschen und die physischen Mechanismen in Zusammenhang zu bringen mit psychischen Vorgängen.
Wayne McGregors rasante Choreographie verlangt seinem virtuosen zehnköpfigen Ensemble tänzerische Höchstleistungen ab. Sie formieren sich barfuß mit tollkühner Geschwindigkeit und wahnwitziger Präzision zu immer neuen Konstellationen und ungewöhnlichen Bewegungs-mustern. Körperteile scheinen sich zu verselbstständigen und abstrakte Zeichensysteme zu bilden. Das erinnert an Hirnströme und mechanische Verknüpfungen von Nervenzellen, die Signale transportieren und Aktionspotenziale freisetzen. Die dreidimensionalen Prozesse scheinen sich abzubilden auf einer im Hintergrund schwebenden Leuchtkörper-Fläche, auf der mal streng geordnete Reihen aufblitzen, mal schemenhaft amorph Schatten vorbeihuschen. In Frage gestellt wird in dem komplexen Zusammenspiel von realen Körpern und virtuellen Strukturen stets die Wahrnehmung selbst.
Trotz aller intellektuellen Reflexion: Gefühle werden nicht verleugnet und von der raffinierten Musikcollage von Ben Frost mitgetragen, der Klänge des 18. Jahrhunderts, also der Zeit der Ratio, weitergeführt zu rockigem Schlagzeuggetöse und hochemotionalen Tonspuren.
Die distanzierte Eleganz der gut einstündigen Denkkonstrukt-Performance, die letztlich die Einheit von Leib, Geist und Seele triumphieren lässt, fand überzeugten Beifall. E.E.-K.

Samstag, 04.02.2012

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