Fahrenheit 451 - kultur 95 - April 2013

Fahrenheit 451 nach Ray Bradbury in der Brotfabrik: Feuerwehr als Brandstifter

Glücklich sein ist oberste Bürgerpflicht in dem Staat, den der Amerikaner Ray Bradbury (1920 – 2012) in seinem 1953 erschienenen anti-utopischen Roman Fahrenheit 451 schildert. Hauptmann Beatty wird es dem verwirrten Montag später erklären: Weil die Weltbevölkerung rasant wuchs, konnte man Individualität und selbstständiges Denken nicht mehr dulden. Weil alle Menschen gleich sind und niemand sich diskriminiert fühlen sollte, musste man sich auf ein für alle erreichbares Niveau einigen. Weil Bücher zum Nachdenken verführen, unglücklich machen können und ohnehin völlig unnütz sind, muss man sie verbrennen. Feuer legen und nicht löschen ist folglich die Aufgabe der Feuerwehr. Gewalt war gar nicht nötig, damit die Menschen sich von der ‚Hochkultur‘ verabschiedeten. Sie wählten freiwillig und völlig demokratisch den Flachsinn der Unterhaltungsdiktatur.
Volker Maria Engel, der in dieser Spielzeit bereits Regie führte bei Kästners Das fliegende Klassenzimmer im Jungen Theater Bonn, inszeniert die berühmte Science-Fiction-Geschichte in der Brotfabrik als klar konturiertes Erzähltheater. Die Ausstattung von Sandra Van Slooten (Bühne und Kostüme) mit abgestuften Podesten markiert geschickt die wechselnden Schauplätze. Auf eine große Leinwand im Hintergrund werden die Brandstiftungen in der Miniatur-Siedlung im Vordergrund ebenso per Livekamera übertragen wie die Fernseh-Shows, die die große TV-Familie wunschlos glücklich machen.
Staransagerin Cousine Caroline (Petra Kalkutschke, in den 1990er Jahren fest am Schauspiel Bonn engagiert) mit golden schimmerndem Abendkleid und plakativem Zwangslächeln flimmert in alle Wohnzimmer. Die sind stets zugeschaltet bei den Unterhaltungssendungen von Arlette (Tina Junge) und Bernadette (Nadja Duesterberg), die mit coolen Spontaninterviews ihre Bildschirmfreunde in Echtzeit bloßstellen und im Sesamstraßen-Format auch schon mal eine jeden Braten massakrierende Kettensäge fürs Hausfrauenglück anpreisen. Während die reizenden Nachbarinnen ihre als Soldaten eingezogenen Gatten in Sicherheit wiegen, weil sie vor lauter Spaß das Dröhnen der Kriegsflugzeuge einfach überhören. Der Nachwuchs erfreut sich derweil an sportlichen Autorennen mit möglichst vielen tödlich Überfahrenen.
Der junge Nikolai Knackmuss zeigt eindrucksvoll die Entwicklung des Feuerwehrmanns Guy Montag zum nachdenklichen Poesie- und Bücherfreund. Knackmuss ist der einzige, der nur eine Figur verkörpert. Alle anderen spielen mehrere Rollen, was die Gegensätze hervorhebt. Montags an einer Überdosis Glückspillen fast gestorbene Frau Mildred wird noch rechtzeitig mit allerlei Apparaten leergepumpt. Birte Schrein aus dem Schauspiel-Ensemble von Theater Bonn spielt im giftgrünen Kleid gespenstisch genau die immer unter Drogen stehende Warenkonsumentin und mit roter Mütze die seltsam zärtliche Clarisse, die im Wald an Blättern riecht und Regentropfen schmecken kann. Petra Kalkutschke verkörpert auch Clarisses alte Tante Klara, die sich trotzig mit ihrer Bibliothek verbrennen lässt. Dickens‘ David Copperfield hat sie vor ihrem Tod noch als geistigen Zündstoff dem braven Montag zuge­steckt, dessen Papierbesitz natürlich von dem mörderischen „mechanischen Hund“ sofort erschnüffelt wird. Dessen Gebell hält der großartige Martin Bross als ebenso belesener wie zynischer Hauptmann Beatty im Zaum. Er weiß, dass es Hugh Latimer war, der zusammen mit dem Bischof Nicholas Ridley 1555 in Oxford auf dem Scheiterhaufen starb und die Worte ausrief: „An diesem Tag werden wir mit Gottes Hilfe eine Kerze anzünden, die niemals ausgehen möge“.
In der Rolle des Literaturprofessors Faber wird Bross gemeinsam mit Montag bei den hoffnungsvoll überlebenden Büchermenschen Zuflucht finden. Der Prozess oder Krieg und Frieden heißen sie, weil sie die Werke auswendig gelernt haben, um sie für eine bessere Zukunft aufzubewahren. Beim suggestiven Soundtrack klingt das Feuerknistern kaum anders als der erlösende Regen. Himmlisch schön übertönt Gabriel Faurés Requiem die Popwelt der technikverliebten Flammenwerfer, die nur noch nach dem „Wie“ und nicht mehr nach dem „Warum“ fragen.

Das brandaktuelle Stück ist eine mit Landesmitteln geförderte Koproduktion von Theater Bonn mit der freien Szene. Die jüngeren Darsteller sind Absolventen der Schauspielschule Siegburg, also ehemalige Studenten von Volker Maria Engel, und haben bereits in mehreren Produktionen von dessen „Volkstheater“ mitgewirkt. Dass die etwas langatmige Inszenierung manchmal ihre dramatische Spannung verliert, ist nicht schlimm angesichts der erschreckend gegenwärtigen Thematik. Der Funke sprang über bei der restlos ausverkauften Premiere im Theatersaal der Brotfabrik. Im Mai/Juni wandert die Aufführung dann in die Werkstatt von Theater Bonn. Die Vorstellung ist bestens geeignet für Schulklassen und sonstiges Publikum ab 14 Jahren. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 ¼ Stunden inkl. einer Pause
Die nächsten Termine:
17.04. / 18.04.13 in der Brotfabrik,
14. / 15.04.13 in der Werkstatt (Opernhaus)

Dienstag, 01.10.2013

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