Frau Müller muss weg - kultur 80 - November 2011

Frau Müller muss weg von Lutz Hübner im Contra-Kreis-Theater: Dicke Luft im Klassenzimmer

Das Handy am Ohr gehört zur Grundausstattung der gutbürgerlichen Eltern, die nach und nach eintrudeln zu einer außerordentlichen Klassenpflegschaftsversammlung. Die Leis­tungen der 4b sind abgerutscht, das Unterrichtsklima scheint sich verschlechtert zu haben. Einige Kinder könnten sogar keine Gymnasial­empfehlung erhalten. Das kann nur an der überforderten Klassenlehrerin ­liegen. Die Sache ist also klar: „Frau Müller muss weg“.
Die gleichnamige Komödie des vielfach ausgezeichneten Dramatikers Lutz Hübner packt wie alle seine erfolg­reichen Stücke ein Gegenwartsthema an. Ehrgeizige Eltern wollen für ihre selbstverständlich wohlgeratenen Sprösslinge nur das Beste. Am Rest ist die Schule schuld, die schließlich für die Erziehung des Nachwuchses zuständig ist und bitte dafür zu sorgen hat, dass jedes Kind die Hochschulreife schon mit der Schultüte garantiert erhält. Zumindest jedes deutsche Kind aus gepflegten Verhältnissen, dem Haupt- oder Realschule gemeinsam mit Migrantenkindern oder sonstigen Versagern nicht zuzumuten ist. Frau Müller hat also pädagogisch versagt, wahrscheinlich selbst psychische Probleme und außerdem den unverzeihlichen Makel, aus der ehemaligen DDR zu stammen.
Eine Klischee-Problemschule hat Ausstatter Manfred Schneider nicht auf die Bühne gestellt. Das Grundschul-Klassenzimmer ist ein liebevoll gestalteter Lernort mit sauber auf der Tafel prangendem Herbstgedicht, aufgeräumten Bastelecken und ordentlich aufgestellten Stühlen. Frank Voß, der auch selbst die Rolle des Wolf Heider spielt, inszeniert die kleinen und großen Gemeinheiten der Elternschar ohne denunzierende Häme. Es sind fünf wohlerzogene Normalmenschen, der größere Rest der Erziehungsberechtigten glänzt wie üblich durch Abwesenheit.
Jessica (blond mit perfekt sitzendem Hosenanzug und knallhart realis­tisch: Alexandra Sydow), redegewandte Elternsprecherin, hat’s vom Flughafen gerade noch geschafft in die Schule ihrer reizenden Tochter Laura. Die beruflich erfolgreiche Jessica – natürlich reden sich alle mit Vornamen an – ­hat’s gern konzeptionell zielorientiert und verhält sich cool wie bei einer Marketingstrategie-Sitzung. Die alleinerziehende Katja, Halbtagskraft mit intellektuell anspruchsvollem Vollzeitjob und Mutter des Klassenbesten Fritz, hat immerhin Blumen für die per Elternvotum abzuwählende Klassenlehrerin mitgebracht. Madeleine Niesche spielt die moralisch geradlinige Katja, der das Ganze ungefähr so peinlich ist wie ihre Affäre mit dem glücklich verheirateten arbeitslosen Wolf, wunderbar differenziert. Wolf terrorisiert sein Töchterchen Janine mit Freizeitangeboten, wenn er nicht gerade seinem erotischen Jagd­instinkt frönt.
Große Gefühle zeigt das mit Fahrradhelmen bewehrte Paar Marina und Patrick, dessen naturgemäß hochbegabtes Wunschkind Lukas im Unterricht völlig unterfordert ist und deshalb die Lehrerin mit Papierkügelchen traktiert, Fritz verprügelt und mit schlechten Noten seinen Erzeugern den Schlaf raubt. Marie-Theresa Lohr ist das umwelt- und friedensbewegte Gutmenschen-Mutterwesen, das es aus München ins Provinznest Bonn verschlagen hat, was ihr gelegentlich ein trotziges „Servus“ abverlangt. Achim Bramscher als hilfloser Gatte und Familienernährer Patrick macht gute Miene zum bösen Spiel, wenn seine Marina politisch unkorrekt aus der Rolle fällt.
Das geht selbst der Klassenlehrerin Sabine Müller zu weit, die tapfer alle Angriffe pariert, nachdem sie begeistert ihre pädagogischen Projekte präsentiert hat. Simone Pfennig spielt die zum Abschuss freigegebene, hoch engagierte Pädagogin absolut souverän. Nur wenn ihr die Mobbing-Maßnahmen echt an Herz und Nieren gehen, lässt sie ihren sächsischen Heimat-Tonfall raus und straft die bildungsbürgerlichen Produzenten von schulpflichtigen Idealkindern sanft aber bestimmt Lügen. Die Blagen sind völlig normale kleine Biester, ein ­bisschen verzogen, wohlstandsverwahrlost zwischen TV-Serien und Internet, keineswegs alle genial, aber persönlich entwicklungsfähig.
Die erwachsenen Typen, die da kindergartenmäßig ihre eigenen Problemzonen aufreißen, haben einen massiven Wiedererkennungswert. Eine Bestnote verdient auf jeden Fall die flotte, in jedem Moment spannende Aufführung, mit der der Contra-Kreis zwar auf seiner unterhaltsamen Schiene bleibt, aber viel Publikum aus der mittleren und jüngeren Generation anlocken könnte.
Dringend empfehlenswert für Eltern, Lehrkräfte und sonstige schulaffine Menschen. E.E.-K.

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Spieldauer ca. 1½ Stunden, keine Pause.
Im Programm bis 11.12.2011
Die nächsten Termine: Täglich außer montags.

Donnerstag, 16.02.2012

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