Norma - kultur 91 - Dezember 2012

Norma von Vincenzo Bellini in der Oper: Tragödie einer Diva

Alle warten auf die Zugnummer dieses Inbegriffs einer Belcanto-Oper: „Casta Diva“, diese Arie an die keusche Göttin der Druiden. Der Intendant betritt die Bühne, stellt den festlich gewandeten Chor vor, holt die Sängerin der Norma vor den Vorhang und lässt sie schon mal den größten Hit anstimmen. Er werde mit dieser Produktion beweisen, dass die Bonner Oper ihr Geld wert sei, sagt der Intendant (gespielt von dem Schauspieler Roland Silbernagl) und zündet sich eine Zigarre an, wie weiland ein italienischer Bonner Opernintendant. Dann lässt er die Bühnenmaschinerie loslegen, einen ganzen Wald samt Giraffe hereinfahren (Bühne: Martin Kukulies), setzt sich auf eine Chaiselongue am Bühnenrand und schaut zu, was seine Leute so anstellen, wenn ein Regisseur das von den Römern besetzte Gallien (historisch durchaus korrekt) in dem berühmten Dorf ansiedelt, wo Asterix und Obelix den Aufstand gegen die Fremdherrschaft proben. Samt Hinkelstein und Wildschwein – alle sind da, wie wir sie aus dem beliebten Comic kennen. Der Druide Miraculix mit dem Zaubertrank, der Dichter Troubadix, der eine aus arg zugerichteten Römern bestehende Banda dirigiert, selbst Hündchen Idefix fehlt nicht. Die liebevollen Kostüme von Mechthild Feuerstein sind eine Wucht.
„Die spinnen“, fanden etliche Premierengäste angesichts dieses parodistisch anmutenden Spiels. Regisseur Florian Lutz, der in Bonn schon sehr erfolgreich eine eigenwillige Carmen inszenierte, macht die Opernkonventionen selbst zum Thema. Der Star ist Objekt eines Betriebes. Das Publikum bekommt seine Ohrwürmer, die künstlerischen Hochleistungen werden bejubelt. Die Priesterin Norma betet zu der Göttin und erleidet dabei ganz irdische Seelenqualen. Die Sängerin der Norma wird zur Diva stilisiert und ist doch ein Mensch mit seinen privaten Sorgen. Für die Dauer der Vorstellung verschmilzt sie mit der Bühnenfigur, durchlebt all die widersprüchlichen Gefühle. Aber was passiert, wenn sie in ihr eigenes Leben zurückkehrt? Was geschieht, wenn sie aus ihrer Rolle nicht mehr herausfindet?
Lutz macht aus dem zweiten Akt ein Back-Stage-Drama, das die Original-Handlung der Oper sehr genau parallel führt mit der persönlichen Tragödie der Diva. Die junge Sopranistin Miriam Clark, deren wirkliche Karriere steil begann und für die die Norma in Bonn letztlich ins Programm genommen wurde, ist in der Titelrolle ein sängerisches Ereignis. Sie verkörpert aber auch zutiefst berührend die Sängerin selbst, allein erziehende Mutter zweier Kinder von einem Mann, der sich einer jüngeren zugewandt hat, die auch auf der Bühne ihre Rivalin ist. Der brillante Tenor George Oniani, im ersten Akt der römische Prokonsul Pollione, ist im zweiten Akt der einflussreiche, grauhaarige Machtmensch Flavio Briatore. Assoziationen an Onassis und seine weltweit von der Yellow Press genüsslich verhandelte Affäre mit der Callas, zu deren Glanzrollen bekanntlich Bellinis Norma gehörte, liegen nahe.
Mit einem goldenen Kleidchen betört er die Sängerin der Adalgisa (exzellent: die Mezzosopranistin Nadja Stefanoff als Gast). Sie ist nun die Favoritin des Magnaten, die ehemalige Geliebte kann abdanken – im Leben und auf der Bühne.
Liebevoll kümmert sich Clothilde (für die kleine Rolle gesanglich fast zu gut: Daniela Denschlag) um die verzweifelte Diva und ihre Kinder (Friederike und Constantin Firmbach). Die sind offenbar in der Theatergarderobe aufgewachsen und tollen auf dem Flügel durch den gallischen Kulissenwald, während Mutter Norma sich beim Abschied von der Bühne Tabletten einwirft und ihre Koffer packt. Normas irrsinnige Rache als neue Medea wird sehr blutig sein. Der Bass Ramaz Chikviladze als Normas stimmgewaltiger Vater Oroveso kann sie nicht mehr retten. Gute Miene zum bösen Spiel macht der junge Tenor Tamás Tarjányi (Flavio / Pollione), seit dieser Saison neu im Ensemble.
Der von Sibylle Wagner einstudierte Chor und Extrachor ist wie immer musikalisch und spielerisch ein Glanzstück. Perfekt begleitet das Beethoven Orchester unter der Leitung von Robin Engelen die Aufführung. Der Dirigent spielt lässig mit und lässt sich nicht beirren durch die Einwürfe des ‚Intendanten’. Was Opernpuristen in Rage versetzen mag. Musikalisch ist diese Norma unzweifelhaft ein Hochgenuss.
Florian Lutz’ hochintelligente Inszenierung polarisiert. Eine öffentliche Kultfigur wird zerstört. Der Star, der sich als Subjekt seines persönlichen Lebens zu behaupten versucht und dabei seine Bühnenrolle zur Existenzgrundlage macht, wird wahnsinnig. Wie es gelingt, den Opernstoff in der Geschichte einer Diva zu reflektieren, ist grandioses Musiktheater.
Die Proteste bei der Premiere sind längst verklungen. Geblieben ist der Skandal, der nicht in der umstrittenen Inszenierung selbst liegt, sondern im Umgang mit den Menschen, die ihre ganze Seele, ihre gesamte körperliche und geistige Existenz, ihr ständig auf den Prüfstand gestelltes exzellentes Können für einen perfekten Bühnenmoment einsetzen und dann schnöde abgefertigt werden. Eine schmerzhafte Erfahrung und unbedingt sehens-/hörenswert! E.E.-K.

Spieldauer ca. 3 Stunden inkl. einer Pause
Weitere Termine:
30.11. / 8.12. / 20.12. / 25.12.12. /
6.01. / 19.01. / 2.02. / 31.03. / 14.04. / 8.05. / 31.05. / 15.06.13

Donnerstag, 14.02.2013

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