Wenn ich du wär - kultur 77 - Juni 2011

Zwischen Facebook und Freundschaft: Wenn ich du wär im Jungen Theater

Vier Wochen „Bunga-Bunga-Party“ wär echt der Hammer. Die Jugendlichen auf der Bühne nehmen kein Blatt vor den Mund, sondern reden ganz locker den voll krassen Jargon der heutigen 15-jährigen, die mit Gameshows wie „Wenn ich du wär“ aufgewachsen sind und die Handy-Kamera immer dabei haben. „Wenn ich du wär, würde ich jetzt die Rotweinflasche exen oder mir genüsslich einen runter holen…“ Die authentische Sprache und die Themen hat Autor und Regisseur Moritz Seibert für das neue JTB-Stück gemeinsam mit Mitgliedern des Nachwuchs-Ensembles (Jannik Beckonert, Gilda Masala, Carlo Hajek, Marie Bendig) erarbeitet und mit dem Studenten Timo Rüggeberg dramaturgisch zu einer echten Komödie aufgepeppt.
Es gibt also trotz ernster Konflikte viel zu lachen, wenn Jan (Jannik Beckonert alternierend mit Carlo Hajek) auf eine sturmfreie Bude hofft, nachdem seine allein erziehende Mutter zwecks Reha nach einem Unfall das Feld geräumt hat. Mit seinen Freunden Robin (Marian Lehnberg / Leon Döhner), Marc (Till Rönitz / Victor Pasztor) und vor allem Lea (Gilda Masala / Marie Bendig), die vor dem ‚ersten Mal’ noch Bedenkzeit braucht, genießt er die neue Freiheit. Chillen mit Alkohol, Ausziehspielchen, Pornovideos, Rumgoogeln, Chatten – was heutige Teenager halt so in Abwesenheit Erwachsener tun.
Dummerweise taucht plötzlich Großmutter Wilhelmine auf, die auf der Suche nach freier Liebe und spiritueller Erleuchtung einst nach Indien entschwand. Giselheid Hoensch in einer ungeheuer komischen Traumrolle als tolerante Hippie-Oma hat das Herz auf dem rechten Fleck und als Bildhauerin (Spezialität: Fruchtbarkeits-Götter) notfalls auch ein erigiertes Holzding zur Hand, mit dem sie gewalttätige Dealer das Fürchten lehrt. Denn auf der Suche nach ‚Gras’ für Omas kleine Süchte, hat Jan den gleichaltrige dunkelhäutigen Jeremiah (Nassirou Holik / Brice Rugira) kennengelernt. Der wohnt allein in einer schäbigen Hütte am Stadtrand (variables naturalistisches Bühnenbild: Moritz Seibert) und fürchtet sich vor der Polizei. Denn Jeremiah lebt illegal in Deutschland, seitdem seine Eltern in den Sudan abgeschoben wurden, weil sie wegen politischer Veränderungen in ihrer Heimat nicht mehr als asylberechtigt galten. Er kann nicht mehr zur Schule gehen, keine medizinische Hilfe in Anspruch nehmen und ist hilflos denen ausgeliefert, die seine Notlage brutal ausnutzen. Wie ihm geht es vielen Menschen in Deutschland, die Dunkelziffer ist naturgemäß hoch.
Jan nimmt seinen neuen Freund mit nach Hause und halst sich damit ein paar wirkliche Probleme auf. Dass bald über Facebook die halbe Welt erfährt: „Jan ist schwul“, ist nur eine Komplikation. Dass Homosexualität im Sudan unter Todesstrafe steht, ergibt eine kurze Internet-Recherche. Aber die Geschichte spitzt sich zu, als Jeremiah schwer verletzt wird.
Das Ganze kommt spannend mit viel Witz über die Rampe. Rührend, wenn Jeremiah das Märchen vom kleinen Elefanten erzählt, und wenn Jan seiner Oma ihre Flucht aus der Verantwortung vorhält. Es ist ein gut gemachtes Stück mit boulevardesken Ingredienzen (bis hin zum ‚Liebhaber’ im Schrank), aber auch mit emotionalen Momenten und weiterführenden Denkanstößen. Großartig agieren die jungen Schauspieler, die alle Nuancen zwischen Abenteuerlust und sozialer Empathie wie selbstverständlich beherrschen. In kleineren Rollen überzeugen die Erwachsenen, insbesondere Anja von der Lieth (Jans Mutter) und Olaf Böhnert (Leas Vater). Jan ist am Ende ein Stück erwachsener geworden. Wie die Sache ausgeht, bleibt offen.
Bei der Erarbeitung des Dramas hat das JTB mit der Flüchtlingsberatungsstelle Bonn und dem Verein MediNetz zusammengearbeitet. Zu der Produktion gibt es kostenlos ein umfangreiches Heft mit Unterrichtsmaterial, das auch zum Download bereit steht. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2¼ Std., eine Pause
Im Programm bis: ??????
Die Aufführung ist geeignet für Zuschauer ab 13, nicht für Kinder.

Donnerstag, 19.01.2012

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 19.04.2024 21:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn