Hauptsache Europa - kultur 70 - November 2010

Kulturen auf der Spur: Sebastian Schnoy - Hauptsache Europa im Haus der Springmaus

Als „kabarettistischen Europacrashkurs“ bezeichnet Sebastian Schnoy sein Programm, und dies ist im ursprünglichen Sinn gemeint, von Wirtschaft und Krise ist nicht die Rede. Schnoy ist Historiker und stammt aus Hamburg: gute Voraussetzungen für Wissen gepaart mit gesunder Neugier eines Welthafenstädters. Zwei kurzweilige Stunden plaudert er über die Deutschen und ihre europäischen Nachbarn, so unterhaltsam, dass das Publikum kaum merkt, dass es lernt. Hinter Schnoys Rücken hängt eine große Europakarte, wie in der Schule. Er präsentiert kein Kabarett im eigentlichen Sinne, sondern fröhliche Nachhilfe im Über-den-Tellerrand-bli­cken: „Ich möchte Ihr Herz für Europa gewinnen, Europa ist eine Liebe wert.“ Wer hier mit einer gewissen Missbilligung der EU-Bürokratie ungeduldig abwinkt, hat schon eine Verbindung zu den meisten seiner EU-Mitbürger: „Europa ist schuld“ ist die vereinheitlichte Grundhaltung.
Schnoy nimmt das Publikum mit auf eine Europa-Tour, bei der in jedem Staat Halt gemacht wird, um seine Eigenarten pointiert darzustellen. Wussten Sie zum Beispiel, dass Vernunft das Hauptcharakteristikum der Schweden ist? So sehr ausgeprägt, dass der Boxsport verboten ist und die Kriminalromane von Henning Mankell der Sparte Fantasy zugeordnet werden? Feindschaften werden jedoch subtil aufrecht erhalten, z.B. zu Dänemark – oder wie lässt sich erklären, dass im IKEA-Katalog die billigen, weniger schönen Dinge bevorzugt dänische Namen haben? Und weiter (Geschichte-Nachhilfe!): Wissen Sie, was es mit der singenden Revolution auf sich hatte, in welchem EU-Staat im Durchschnitt die größten Menschen leben, und in welchem Parlament Minirockverbot herrscht?
Fair und mindestens ebenso spannend: Schnoy, mit einer Französin liiert, berichtet auch, wie Ausländer Deutschland und Deutsche im Ausland wahrnehmen. Während „wir“ uns im Ausland mit „Es gibt kein richtiges Brot“ outen, muss sich der Franzose mit der Bürokratie in Deutschland auseinandersetzen: Kurtaxe, Miet-Strandkörbe, Parkregularien, Mülltrennung… Auch die deutsche Küche lässt bei den Nachbarstaaten Zweifel an der Hochkultur aufkommen: Was hat es z.B. mit den „staatlichen Lebensmittellagern für den Katastrophenfall“ (Discountern) auf sich?
Schnoys Botschaft: „Alle können von ihren Nachbarn lernen“, speziell für Deutsche: „Holt das Abenteuer zurück in euer Leben, tretet aus dem ADAC aus.“
Allen, die nicht bis zum nächsten Auftritt in Bonn warten möchten, seien Sebastian Schnoys Bücher Smörrebröd in Napoli (2009) und Heimat ist, was man vermisst (2010) empfohlen. J.S.

Montag, 21.03.2011

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