Die heilige Johanna der Schlachthöfe - kultur 70 - November 2010

Es geht um Geld, Ausbeutung, hilflosen Widerstand gegen die mächtigen Börsenbosse und den Niedergang der Moral in Brechts 1929/30 als Reaktion auf die damalige Wirtschaftskrise entstandenem Stück.

Es geht um Geld, Ausbeutung, hilflosen Widerstand gegen die mächtigen Börsenbosse und den Niedergang der Moral in Brechts 1929/30 als Reaktion auf die damalige Wirtschaftskrise entstandenem Stück. Was das Fringe-Ensemble im Theater im Ballsaal in der Regie von Frank Heuel verhandelt, ist also hochaktuell. Die sechs Schauspieler nehmen Brechts Text mit seinen ironischen Blankversen und unverschämten literarischen Zitaten bitter ernst und zelebrieren ihn mit einer lässigen sprachlichen Virtuosität, die ans Groteske grenzt.
Als mit sich selbst identische absurde Heldin Johanna Dark wandert Justine Hauer (bei der Bonner Premiere deutlich schwanger) durch die Chicagoer Schlachthöfe, die Ausstatterin Annika Ley mit viel Blut, Eis und Dreck versehen hat. Johanna ist naiv und stark, gutgläubig und seltsam unberührbar. Bettina Marugg im weißen Anzug spielt brillant die ganzen Zocker, die wie Fleischkönig Mauler beim Anblick eines Ochsen auf der Schlachtbank sentimental werden und die Konkurrenten um die Geldtöpfe kaltschnäuzig zur Sau machen. David Fischer, Manuel Klein, Andreas Meidinger und Harald Redmer sind mal die Herrscher im Geschäft mit den Viehherden, die als Dosenfleisch auf den Markt geworfen werden sollen, mal die lohnabhängigen Züchter und Schlächter, die splitternackt dem Segen des Kapitals entgegenzittern, mal die Heilsarmee, die in durchsichtigen Plastikanzügen mit dem Segen Gottes die Menschheitsbeglückung probt. Die Inszenierung, die die männlichen Darsteller körperlich bis zur Schmerzgrenze herausfordert, rast mit irrwitzigem Tempo und wahnwitziger Intelligenz durch die geldgierige Tötungswelt. Das grenzt manchmal an mordslus­tiges Kabarett, wo man mit blutverschmiertem Gesicht saubere Fratzen entlarvt und zähne­knirschend Oden deklamiert. Eher überflüssig sind die gegen Ende eingeblendeten Bilder der ‚letzten Schlächter von Köln', die der Fotograf Josef Šnobl vor der Schließung des Kölner Schlachthofes im Mai 2010 aufgenommen hat. Im Foyer des Theaters gibt es dazu Kopfhörer mit Interviews der betroffenen Metzgereiarbeiter. Ein Highlight ist die Bühnenmusik von Gregor Schwellenbach, der auch die Gesangsnummern des Ensembles einstudiert hat.
Die originelle, künstlerisch hervorragende Fringe-Interpretation des Brecht-Klassikers ist unbedingt sehenswert! Oberstufen-Schulklassen sollten aber darauf vorbereitet sein, dass viel unbekleidete Männlichkeit zu sehen ist. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 Std. ohne Pause
Im Programm bis: ?????
Nächste V.: 3.-7.11.10

Donnerstag, 22.12.2011

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