Hilda - kultur 70 - November 2010

Zofen-Ausbeutung: Hilda in der Pathologie

Hilda ist 32, Ehefrau und Mutter von zwei Kindern. Sie ist arm, schön, tüchtig und vor allem sauber. Sie ist das ideale Dienstmädchen von Madame Lemarchand – wohlhabender Gatte, drei kleine Kinder, materiell sorgenfreie Exis­tenz mit regelmäßigen Empfängen der besseren Gesellschaft im eigenen Luxusdomizil. Madame erzieht Hilda, macht sie salonfähig, schneidet ihr die Haare und schenkt ihr ihre abgelegten Kleider. Wie eine Spinne saugt sie langsam das Leben ihrer Dienerin aus, bis eine leere Hülle zurückbleibt, mit der Hildas Gatte Franck nichts mehr anfangen kann.
Hilda taucht jedoch nicht auf in dem Stück Hilda von Marie NDiaye. Die in Berlin lebende Autorin, Tochter einer Französin und eines Senegalesen, erhielt 2009 für ihren Roman Drei starke Frauen den wichtigsten französischen Literaturpreis „Prix Goncourt“. Im Theater die Pathologie hat Christoph Pfeiffer NDiayes 2002 in Paris uraufgeführten Dramenerstling als absurdes Gedankenspiel über Herrschaft und Ausbeutung inszeniert. Es erscheint wie eine Umkehrung von Genets Zofen: Die attraktive, mächtige Madame Lemarchand schafft sich in der Zofe Hilda ein Wunschobjekt, dem sie selbst immer mehr verfällt. Maren Pfeiffer thront im blau-grün schillernden Kleid auf ihrem Sessel und kauft dem unsicheren Franck seine Frau Hilda regelrecht ab. Hinter der Maske der selbstbewussten Kleinstadt-Herrin lässt Pfeiffer die Verzweiflung einer einsamen Frau aufscheinen. Sie ist brutal dominant, feinsinnig zynisch, rabiat großzügig und würdelos verletzlich. Sie ist bewusst theatralisch bis zur Schmerzgrenze, weil Madame ihr Leben als pure Rolle auf der Gesellschaftsbühne begreift.
Hildas gedemütigter Mann Franck – verkörpert von dem türkischstämmigen Schauspieler Aydin Isik – übernimmt ohne viele Worte zusehends die Dialogführung. Er nutzt die Abhängigkeit der fremden Frau von ihrem Idealgeschöpf, streicht Hildas wachsenden Stundenlohn lächelnd ein und versteckt Madame am Ende wieder wie eine Puppe unter dem Tuch, hinter dem er sie anfangs hervorgeholt hat, bevor er den Teppich für sie ausrollte. Hilda ist möglicherweise nur eine erotische Kommunikationsfiktion. Christoph Pfeiffers Regie vermeidet jeden vordergründigen Naturalismus; die Verortung des Dramas in Afrika wird ebenso nur angedeutet wie Hildas vermutliches Verhältnis mit dem Hausherrn. Die Hausherrin begehrt möglicherweise in Hilda, der sie sich mit zärtlicher Verachtung unterwirft, den fremden, farbigen Mann, den sie sich mit Geld gefügig zu machen sucht. Eine surrealistische Tragikomödie aus dem Geist Ionescos. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 1 Std. ohne Pause
Im Programm bis: ?????
Nächste V.: 19.+20.11.10

Montag, 21.03.2011

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