Prinz Friedrich von Homburg - kultur 70 - November 2010

Verdichteter Traum vom Glück: Prinz Friedrich von Homburg in den Kammerspielen

Die höfische Kulisse des nächtlichen Schloss­parks von Fehrbellin verschwindet wie ein Traum. Eine breite Treppe ist in Gesine Kuhns strengem Bühnenbild Schauplatz der Auseinandersetzungen um Politik und Individuum. Die Figuren des Stückes sitzen zu beiden Seiten neben dieser hohen Rampe und steigen in ihre Rollen ein, wenn der Fortgang der Handlung es erfordert. Den hat Regisseur Stefan Heiseke mit ungeheurem Tempo inszeniert. Knapp eineinhalb hoch konzentrierte Stunden braucht er für Kleists letztes Drama. Er hat es mutig entschlackt und auf sechs Personen reduziert.
Es gibt keine preußischen Militäraufmärsche und großen Gruppenszenen, kein realistisches Dekor. Die schwarzweißen Kostüme von Uta Heiseke suggerieren keine bestimmte Vergangenheit, weder die der historischen Schlacht bei Fehrbellin 1675, noch die der Entstehungszeit des Werkes, kurz bevor der Dichter Heinrich von Kleist sich im November 1811 erschoss. Prinz Friedrich von Homburg ist kein Geschichtsdrama, sondern ein Gedankenkonstrukt. Die Dialoge, der schnelle Wechsel von Rede und Gegenrede bestimmen den Ablauf. Kleists Blankverse, die das Gesagte kunstvoll poetisch komprimieren, bis es fast atemlos explodiert, werden leise und reflektiert gesprochen im Ton zivilisierter Konversation. Vorangetrieben von Michael Barfuß’ Bühnenmusik und vor allem den Schlaginstrumenten des Perkussionisten Martin Thissen. Die Herstellung der Töne ist sichtbar wie die Scheinwerfer: Alles bleibt bewusst gezeigtes Theater.
Dieser Verzicht auf Illusion macht die Logik dieses Traumspiels umso deutlicher. Arne Lenk spielt einen sehr vielschichtigen Prinzen. Als Schlafwandler ist er sich seines Glückes im Krieg und in der Liebe völlig sicher. Er ist unverschämt ehrgeizig, ein furchtloser Kämpfer und ein gedankenverlorener Schwärmer. Als General schickt er seine Soldaten bedenkenlos in den Tod, siegt wie im Rausch und bricht zusammen, wenn er sein eigenes Grab sieht. Dieser junge Held kann begeistern und erschrecken. Er ist liebenswürdig und wankelmütig, egozentrisch und sich selbst fremd.
Der großartige Bernd Braun als Kurfürst von Brandenburg ist ein einsamer Rationalist, ein aufgeklärter Monarch und kein Despot. Vor allem ein nachdenklicher politischer Kopf, der die Spielzüge seiner Umgebung mit leisem Lächeln beobachtet. Der Hitzkopf Homburg ist ihm sympathisch, auch wenn dessen Qualitäten als Feldherr zweifelhaft sind. Dieser Kurfürst will nicht Gesetz und Ordnung um jeden Preis, sondern schlagende Argumente. Im großen Dialog mit seiner unbeirrbaren Nichte Natalie – leuchtend klug verkörpert von Maria Munkert – zeigt er sich berührt, um dann ihr und ihrem Geliebten eine grausame Falle zu stellen. Der Prinz kann um den Preis der Staatsraison das Leben wählen oder sich um den Preis seines Lebens frei für die höhere Gerechtigkeit entscheiden. Zwischenlösungen werden nicht akzeptiert.
Tatjana Pasztor als mütterliche Kurfürstin bewahrt verständnisvolle Haltung, wenn Neffe Homburg, der Nichte Nathalie gerade noch seine Hand und Schutz angeboten hat, sich ihr wie ein hilfloses Kind jammernd zu Füßen wirft. Rolf Mautz als Obrist Kottwitz schwankt zwischen Pflicht und Neigung. Wie dieser kampferprobte alte Haudegen sein revoltierendes Herz im Zaum hält und den von der tapferen Natalie angezettelten Aufruhr der Truppen mit schlichten Worten begründet, ist ein Muster an aufrechter Haltung. Oliver Chomik als junger Graf Hohenzollern gibt den treuen Freund Homburgs, der zu dessen Verteidigung alle rhetorischen Geschütze aufführt. Heiseke hat das ganze Arsenal von Fürs­tenhof und Armee auf den Kontrast dieser beiden Charaktere reduziert.
Mit verbundenen Augen erwartet der Prinz gelassen die tödliche Kugel. Und redet dabei vom blendenden Glanz seiner Unsterblichkeit. Es ist wieder Nacht im Schlosspark. Vielleicht sind nur ein paar Minuten vergangen zwischen seiner blinden Traumseligkeit und seinem hellsichtigen Albtraum. Gewiss ist, dass ein Abgrund ihm die Augen geöffnet und dass er die wirkliche Welt schmerzlich erlebt hat. Der Krieg geht weiter, und jeder Sieg wird ein ernüchternder Verlust sein. Die stringente, darstellerisch ungemein intensive Aufführung ist einfach fabelhaft und keineswegs nur für zwangsverpflichtete Oberstufenschüler unbedingt sehenswert. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 80 Min., keine Pause
Im Programm bis: ?????
Nächste Vorstellungen: 31.10./7.11./19.11./27.11./18.12.

Donnerstag, 17.03.2011

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