Turandot (Oper Bonn) - kultur Nr. 70 - November 2010

Glühendes Eis: Turandot in der Oper Bonn

Turandot lässt alle Bewerber um ihre Hand und ihr Reich einen Kopf kürzer machen, wenn sie die komplizierten Rätsel nicht lösen können, die die unberührbare chinesische Prinzessin vor das Ende ihrer Jungfräulichkeit gesetzt hat. Turandot ist eine begnadete Dichterin und sich selbst ein Rätsel. Wenn sie im prunkvollen goldenen Gewand endlich zum ersten Mal erscheint in Puccinis letzter, unvollendet gebliebener Oper Turandot, gibt sie stumm das nächste Opfer ihres gnadenlosen Widerwillens gegen alles Männliche der Hinrichtung preis. In Silviu Purcaretes grandioser Inszenierung (feingeschliffen von seinem Regiekollegen Nikolaus Wolcz) im Bonner Opernhaus schwingt eine wuchtige Henkerin das Beil und vermehrt den Blutsee auf dem Bühnenboden um einen weiteren abgeschlagenen Kopf.
Die grausame Turandot ist hier eine pure Theaterfigur, was ziemlich plausibel macht, dass der Flüchtling Calaf, Sohn des entthronten Tartarenkönigs Timur, sich Hals über Kopf unsterblich in dieses Fantasiegeschöpf verliebt. Großes Theater signalisiert das sängerfreundliche Bühnenbild von Ausstatter Helmut Stürmer, das mit seinen steilen Rängen an alte Anatomie-Hörsäle erinnert, in denen seziert und beobachtet wird. Das Volk schaut gern zu bei der makabren Leichenproduktion und macht sich seine eigenen Gedanken über die psychischen Abgründe der Machthaber. Der Chor und Extrachor des Theaters Bonn tun das unter der Leitung von Sibylle Wagner sängerisch und darstellerisch unglaublich gut. Beängstigend sanft beschwören sie den Mond über dem angststarren Peking, dem Turandot nach Calafs Quiz-Truimph ein Blutbad angedroht hat. Als unerschütterliche Plebs lassen sie sich von jeder Hofschranze manipulieren. Die Chorszenen – ein Sonderlob gebührt dem von Ekaterina Klewitz einstudierten Kinder- und Jugendchor – sind ein tragendes Element in dieser Oper.
Welche Emotionen da aufflammen, wie der Eispanzer der Prinzessin rissig wird und wie alte Verletzungen aufbrechen, illustriert klanglich opulent und fabelhaft genau das Beethovenorchester Bonn unter der Leitung von Generalmusikdirektor Stefan Blunier. Auch wenn die in der Intendantenloge platzierten, blitzsauber intonierenden Blechbläser (zum Stück allerdings passend) recht laut sind – eine solch brillante Background-Tonspur für Turandot kann man lange suchen.
Eine dramatische Sopranistin, die die kurze, aber mörderisch anspruchsvolle Titelpartie überlebt, muss man in der Opernwelt finden. Rachael Tovey ist vielleicht nicht die ideale Darstellerin der verklemmten Turandot, aber sicher sängerisch eine der weltweit besten. Ihre Stimme klingt selbst in halsbrecherischen Wutausbrüchen nie schrill und meistert alle herrischen Rätselfragen mit feinsten Melodiebögen. Ihr ebenbürtiger Partner ist in jeder Hinsicht George Oniani, dessen metallischer Tenor lyrische Nachtaufhellungen wie die berühmte Arie „Nessun dorma“ ebenso schön intoniert wie alle anderen musikalischen Facetten der Calaf-Rolle.
Dass Calaf es völlig herzlos hinnimmt, dass die treue Liù sich für ihn opfert, bleibt ewig unbegreiflich. Irina Oknina (alternierend mit Julia Kamenik) ist als Liù die einzige echt menschliche Figur des bösen Märchens: Eine zarte Erscheinung mit einer unbeirrbar starken Liebe und unendlich berührender heller Stimme, die unter der von Turandot angeordneten brutalen Folter zerbricht. Der Siegertyp Calaf will die Frau, die sich nach ihrer Niederlage im Rätselspiel noch längst nicht geschlagen gibt.
Als irre komisches intrigantes Ministertrio Ping, Pang, Pong fungieren Giorgos Kanaris, Tansel Akzeybek und Mark Rosenthal. Die drei beweglichen, glatzköpfigen Herren sind eine Klasse für sich und allein schon einen Besuch der Vorstellung wert. Ramaz Chikviladze als Calafs verzweifelt durch die Welt irrender Vater Timur und Valentin Jar als Turandots auf dem Kaiserthron vertrottelter Vater Altoum liefern reizvolle Charakterstudien in einer Aufführung, die ansonsten auf Theatereffekte setzt. Der nach Puccinis Aufzeichnungen von dem Komponisten Franco Alfano rekonstruierte Schluss wird in der Kurzfassung gespielt: Heißer Kuss zweier Liebesunfähiger. Die wegen der Jahrhunderte zurückliegenden Vergewaltigung einer Ahnfrau eisig auf Rache sinnende Amazone unterwirft sich der Macht Amors, köpft keine Männer mehr und heiratet den klugen Rätsellöser Calaf. Das Happy End ist ironisches Rampentheater mit Pomp und Trompetenseligkeit.
Die vom Premierenpublikum mit heftigem Jubel belohnte Aufführung ist ein Beispiel für sinnlich spannendes, traditionsbewusstes Musiktheater auf einem international konkurrenzfähigen Niveau. Mit diesem Saisonstart hat die Oper Bonn ihren guten Platz in der ersten NRW-Landesliga sicher behauptet. Die gelungene Bonner Turandot zu verpassen, wäre fast sträflich. Oder geradezu kopflos… E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2½ Std., eine Pause
Im Programm bis: 07.05.11
Nächste Vorstellungen: 31.10./14.11./28.11./26.12./27.1./12.2.

Donnerstag, 17.03.2011

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