Das Leben des Galilei (Kleines Theater) - kultur 69 - Oktober 2010

Die Verantwortung der Wissenschaft: Das Leben des Galilei im Kleinen Theater

„Unglücklich das Land, das keine Helden hat!“, sagt der junge Andrea Sarti, nachdem sein verehrter Lehrer Galileo Galilei vor der Inquisition kapituliert und seine Erkenntnisse wider besseres Wissen widerrufen hat. „Unglück­lich das Land, das Helden nötig hat.“, erwidert der Forscher. Hat Galilei am 22.Juni 1633 in Rom seine Einsichten verleugnet, um heimlich weiterarbeiten zu können? Oder trieb ihn angesichts der Folterinstrumente die Angst vor körperlichen Schmerzen?
Brechts Galilei ist ein Genussmensch, der aus sinnlicher Leidenschaft forscht und bei einem guten Essen die besten Ideen hat. Sein Denken wird vom Zweifel geleitet, gegen den nur handfeste, möglichst einfache Beweise helfen. Die unbelesenen, philosophisch unverdorbenen Menschen, die schlicht ihren fünf Sinnen vertrauen, müssen nicht mehr glauben, sondern dürfen begreifen. Das macht Galilei gefährlich für alle Autoritäten und nützlich für die Wirtschaft. Vom Geld, das neue Erfindungen einbringen, will er seinen Teil und scheut überhaupt nicht davor zurück, das keineswegs von ihm entwickelte Teleskop dem venezianischen Dogen als Wunderding unterzujubeln.
Das Instrument freilich braucht er, um dem Lauf der Gestirne auf die Spur zu kommen. Dass die Erde sich bewegt und um die Sonne kreist, ist längst unbestritten. Aber es hat im 17.Jahrhundert das fest gefügte Weltbild aus den Angeln gehoben. „Der Himmel ist abgeschafft“, verkündet Brechts Galilei fast fröhlich. Sein Leben kann gar keine Tragödie sein, weil die Gesetze der Schwerkraft und die eindeutigen, experimentell belegten Fakten halt nichts zu tun haben mit fatalen Schicksalsmächten: „Die Winkelsumme im Dreieck kann nicht nach den Bedürfnissen der Kurie abgeändert werden.“
Hans Thoenies konzentriert sich in seiner Inszenierung von Brechts Leben des Galilei im Kleinen Theater auf den historischen Konflikt des Begründers der modernen Physik. Auf den Widerspruch zwischen unwiderlegbarem Wissen und der ideologisch begründeten Macht. Es geht um die Dialektik von Vernunft und Autorität und damit notwendig um einen gesellschaftlichen Umbruch. Ganz nebenbei auch um die Wahrheit als Ware. Galileo Galilei – hervorragend verkörpert von Volker Weidlich – ist kein Revolutionär, der das Volk gegen seine Unterdrücker aufstacheln will. Er will um jeden Preis die Wirklichkeit verstehen: ein Handwerker eher als ein Intellektueller. Wie sein Freund, der Linsenschleifer Federzoni (Heiko Haynert).
Regisseur Thoenies hat Brechts Text geschickt gestrafft und lässt die zwölf Szenen flott Revue passieren. Er zeigt ein spannendes Historiendrama, schnörkellos klar, sicher in der Personenführung, brillant in den spitzfindigen Dialogen. Stefan A. Schulz zitiert in seinem klugen, für schnelle Umbauten bestens geeigneten Bühnenbild für die Auftritte im Vatikan Michelangelos Jüngstes Gericht herbei (der Künstler starb übrigens 1564, im Geburtsjahr von Galilei) und geizt auch sonst nicht mit feinen Details. Prächtig anzuschauen sind die Kostüme von Kara Schutte, die das vierzehnköpfige Ensemble in mehr als doppelt so vielen Rollen mit klerikalem Pomp, fürstlichem Glanz und rauer Mönchs- und Arbeitskleidung ausgestattet hat.
Große Auftritte hat Johannes Prill als zynisch eleganter Universitätskurator Priuli, als flo­rentinischer Hofphilosoph und als Pater Clavius, Astronom des Heiligen Offiziums in Rom. Frank Fenner ist u. a. Galileis treuer Gefährte Sagredo, Luna Metzroth trotzt als tüchtige Haushälterin Sarti sogar der Pest. Laura Weider ist Galileis reizende Tochter Virginia, die von den väterlichen geistigen Höhenflügen nichts kapiert, aber sich verliebt in dessen Schüler, den reichen jungen Florentiner Ludovico (Ingo Heise). Der egozentrische Galilei opfert Virginias Lebensglück bedenkenlos für den Heliozentrismus, den er übrigens auch nicht selbst entdeckt hat, sondern Kopernikus verdankt.
Was ein Universum, in dem die Erde nur ein kleiner Planet unter vielen ist, für die gläubigen Menschen bedeutet, die ihre Armut nur mit der Hoffung auf das himmlische Paradies ertragen, macht in einer anrührenden Szene der kleine Mönch (Holger Giebel) klar, bevor er selbst zum Jünger der Aufklärung mutiert. Die alten Gelehrten und kirchlichen Würdenträger (darunter sehr amüsant: Stefan Krause und Theaterurgestein Rainer Hannemann) machen sich noch einen Spaß aus den ‚verrück­ten’ Sternenbahnen, bis Clavius sie mit einem lakonischen „Es stimmt“ zum Schweigen bringt. Besser als Kardinal Barberini und Papst Urban VIII. (beide gespielt von Karl-Heinz Dickmann) weiß der verschlagene Inquisitionschef Bellarmin (Matthias Kiel) im feuerroten Klerikergewand, wie man einen kühnen Sternenseher verstummen lässt. Die irdischen Werkzeuge der Inquisition braucht man Galilei nur zu zeigen. Dieser Mensch taugt nämlich nicht für den Scheiterhaufen; er brennt für seine Forschungen und gut gewürzte Bratgänse und eine ordentliche Flasche Wein. Galilei leugnet folglich zum Entsetzen seiner Anhänger die Drehungen der Erde für knapp 20 Jahre Leben. Vernünftig zweifellos, denn sonst hätte er seinem wie ein Laster betriebenem Forschungsdrang nicht mehr folgen können und seine Schriften nicht vollendet. Nur: Das Ideal der in der Welt zu verkündenden Wahrheit war nicht der Grund für seine Notlüge. Galilei mochte einfach nicht leiden. Eine Komödie war’s, wie sein junger Adept Andrea Sarti (Raphael Gosch) am Ende einsehen muss, bevor er sich mit den Manu­skripten seines fast erblindeten Meisters aus Italien verabschiedet.
Ein tragischer Held ist dieser Galilei nicht. Ein optimistisches Stück ist das von Brecht im dänischen Exil verfasste Leben des Galilei auch nicht. Die Nachricht von der ersten Atomkernspaltung 1938 durch den deutschen Chemiker Otto Hahn hatte den Anstoß gegeben für die Auseinandersetzung mit der Rolle der Wissenschaft. Zwischen die Uraufführung 1943 in Zürich und die amerikanische Erstaufführung 1947 fiel die Zerstörung Hiroshimas. „Der infernalische Effekt der großen Bombe stellte den Konflikt des Galilei mit der Obrigkeit seiner Zeit in ein neues, schärferes Licht“, heißt es in Brechts Vorrede zur amerikanischen Fassung seines Schauspiels.
Im Kleinen Theater leuchtet „Galilei“ mit all seinen Zweifeln unbeirrbar heiter. Langer, überzeugter Premierenbeifall für eine präzis durchdachte, werktreu stimmige Aufführung. Sehr geeignet auch für Schulklassen, die ein immer noch wichtiges Stück kennenlernen möchten.
E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2½ Std., eine Pause
Im Programm bis: 30.09.10
Nächste Vorstellungen: täglich bis 30.09.

Donnerstag, 11.10.2012

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 23.04.2024 21:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn