Buch Asche - kultur 68 - Juli 2010

Musikalische Traum-Installation: Buch Asche in der Oper

Die experimentelle Musiktheater-Reihe „Bonn Chance!“ residiert diesmal im großen Opernhaus. Bei dem von dem Komponisten Klaus Lang und der Raumkünstlerin Claudia Doderer konzipierten und inszenierten Auftragswerk Buch Asche wird der ganze Raum zu einem neuen visuellen und musikalischen Erlebnis. Doderer (Bühne, Kostüme, Licht) hat die Spielfläche über einen Teil des Parketts gezogen bis hin zu einer steilen Treppe, die in den ersten Rang führt. Ein frappierender Raum-Eindruck, expressiv gesteigert durch die riesigen grauen Mauern auf der Hauptbühne, die sehr kompakt wirken, aber manchmal transparent werden für bedrohlich düstere Hallen. Per Video (Axel Largo) sieht man auf einem Bühnenschleier zu Anfang ein großes kopfloses Paar wie eingefrorenes Kino aus einer fernen farbigen Welt. Ganz sacht beginnt das Kleid der Frau sich im Wind zu bewegen. Es sind diese vorsichtigen Zeichen und der Mut zur Entschleunigung, die bei der Aufführung faszinieren. Ebenso wie die Musik von Klaus Lang (von dem Österreicher wurden in der Reihe „Bonn Chance!“ in der Bundeskunsthalle bereits die Werke Stimme allein und Königin Ök uraufgeführt), die einen meditativen Sog entfaltet, mit einfachen Harmonien schillernde Klangflächen ausbreitet, manchmal Naturgeräusche andeutet und deutlich von dem fernöstlichen Sujet inspiriert ist. Das über den zweiten Rang, die Intendantenloge und (fast unsichtbar) auf mehrstöckige Gerüs­te hinter der Bühne verteilte Beethoven-Orchester muss ohne Dirigenten auskommen. Die rhythmische Strukturierung übernehmen im Raum verteilte Monitore, über die Buchstaben und Zahlen flimmern. Das Orchester lässt sich mit eindrucksvoller Konzentration auf das schwierige Experiment ein und schafft eine sinnliche Atmosphäre von gespannter Ruhe.
Leider fehlt in der aufwändigen Bühneninstallation eine überzeugende Regie, die mit einer sicheren Personenführung mehr aus dem vielschichtigen Stoff hätte machen können. Der angestrebte Raumklang wird erheblich dadurch geschmälert, dass der Chor nicht live auftritt. Der Bonner Opernchor unter der Leitung von Sibylle Wagner hat seinen stimmlich höchst anspruchsvollen Part auf Band eingesungen und wird aus der elektronisch bearbeiteten Konserve zugespielt. Seine Rolle als Erzähler haben kurzfristig die Tänzer Bärbel Stenzenberger, Ziv Frenkel und Olaf Reinecke übernommen, die in der Choreographie von Tomi Paasonen sehr präzis auf dem musikalischen Klangteppich balancieren und als stummes Volk das Geschehen begleiten. Ganz in der chinesischen Trauerfarbe Weiß wie die toten Körper auf dem Bühnensteg und die drei Gesangssolisten. Die Sopranistin Angelika Luz treibt ohne jedes Vibrato die Stimme der Bäuerin Yun in Schwindel erregende eisige Höhen. Der Bass Assaf Levitin bewältigt als Yuns Gatte Xi seine kaum noch singbaren tiefen Töne mit Anstand, wenn auch manchmal fast unter der Hörbarkeitsgrenze. Meistens liegt er in einer grauen Grube auf der jede realistische Erzählweise verweigernden Bühne. Imposant ist nicht nur die großartige Stimme des jungen Countertenors Terry Wey. Auf halsbrecherisch hohen Kothurnen steigt er als Kaiser Liu-Py unendlich langsam die Treppe herab und schreitet unnahbar durch den Raum. Eine rote Schleppe zieht er hinter sich her wie eine Blutspur.
Erzählt wird die auf einem alten chinesischen Märchen basierende Geschichte in der Inszenierung freilich nicht. Der gesungene deutsche Text des Librettisten Händl Klaus bleibt bis auf einige Wortfetzen unverständlich. Das ist bewusst so konzipiert: Die Sprache soll in der Musik aufgehen und poetische Impulse setzen im assoziativen Geflecht von Klang und Figuren im Raum. Den Ablauf der in 13 Bilder aufgeteilten Handlung und den Text kann man im Programmheft nachlesen. Der Österreicher Händl Klaus (2006 zum deutschsprachigen Dramatiker des Jahres gekürt) hat sehr eng mit dem Komponisten zusammengearbeitet. Sein hoch poetischer Text spiegelt in eigenwilliger Graphie die Silben-Töne und lässt durch Worttrennungen raffinierte semantische und syntaktische Verknüpfungen zu. Wie die Zeichen und Töne der chinesischen Sprache.
Die arme Reisbäuerin Jun verbrennt nämlich ein Buch, ihren kostbarsten Besitz. Sie hat hungernd und frierend von einem weißen Seidenkleid geträumt, dass ihr Mann Xi ihr heimlich weggenommen und verpfändet habe. Sie habe mit der Asche ihres einzigen Buches den unnahbaren Kaiser Liu-Py beworfen und sei dafür sofort mit dem Tod bestraft worden. Als der Kaiser die Provinz besucht und massenhaft Hinrichtungen vollziehen lässt, macht sie ihren Traum wahr. Der verzweifelte Xi malt sich aus, wie Juns Knochen auf dem Feld verstreut werden und der Wind durch ihren mundlosen Schädel johlt. Doch während das Blut der kaiserlichen Untertanen auf den vereisten Reisfeldern gefriert, wird die von Jun von einem kahlen Maulbeerbaum auf den Kaiser gestreute Asche zu Kirschblüten. Der Kaiser ist erfreut und schenkt Jun einen Ballen weißer Seide. Einen Moment lang berühren beide den Stoff. Die Witwen der Getöteten bitten Jun, ein Kleid aus dieser Seide als Totenklage bei der Arbeit zu tragen. Xi wickelt seine lebendig heimgekehrte Frau in den Stoff wie in den Kokon einer Seidenraupe, den man in kochendes Wasser werfen muss, um daraus die teuren Fäden zu gewinnen.
Die konsequent antinarrative Inszenierung zeigt weder Asche noch Kirschblüten. Reis­körner und Seidenkokons scheinen versteinert zu sein. Die symbolhaltige Geschichte wird nicht illustriert, sondern in dramatisch verhaltenen Aktionen zu einem lyrischen Albtraumgespinst verwoben. Seltsam unwirklich und suggestiv: Es passiert einfach vieles, auf das man sich als Zuschauer keinen Reim machen muss, um als Zuhörer frei in einem inspirierten Klangraum die Gedanken schweifen zu lassen. Auch abschweifen, weil die Bedeutungen flüchtig werden und insofern viel zu tun haben mit der zeitgenössischen globalisierten Vereinzelung.
Das mit großer Kunstanstrengung produzierte Opernexperiment wurde ermöglicht u. a. durch den Fonds Experimentelles Musiktheater und die Ernst von Siemens Musikstiftung. Dass das Theater Bonn damit eine prominente Uraufführung präsentieren konnte, ist allein als Ereignis schon wichtig. Ästhetisches Neuland muss kultiviert werden, damit kreative Ideen wachsen. Vielleicht nicht immer zu voller Blüte, aber wie hier zumindest reizvoll. Anerkennender Beifall! E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 1½ Std., keine Pause
Im Programm bis: 10.07.10
Nächste Vorstellungen: 26.06./10.07.10

Dienstag, 15.02.2011

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