Oliver Twist - kultur 60 - November 2009

Gemeinsam unschlagbar: Oliver Twist – Musical nach Ch. Dickens im Jungen Theater

Oliver Twist, zwischen 1837 und 1839 als Fortsetzungsroman erschienen, ist bis heute das meistgelesene Buch von Charles Dickens (1812 -1870). Keiner hat die gesellschaftlichen Zustände im viktorianischen London mit solch scharfem Blick und solch sarkastischem Ton beschrieben wie der englische Dichter. Oliver Twist wurde mehrfach verfilmt und eroberte als Musical Oliver ab 1960 die Bühnen.
Für das Junge Theater Bonn haben dessen Intendant Moritz Seibert und der junge Timo Rüggeberg das populäre Werk neu dramatisiert und sich von dem versierten Musical-Darsteller Kristian Vetter eigens eine flotte Musik komponieren lassen. Die Songs sind mitreißend, gesungen und getanzt (musikalische Leitung und Choreographie: Valerie Simmonds) wird fast perfekt. Die Inszenierung von Andreas Lachnit belässt die Geschichte vom armen Waisenjungen, der sich nicht unterkriegen lässt, im 19. Jahrhundert, holt die Botschaft von der Erreichbarkeit einer besseren Zukunft aber dicht an die Gegenwart. Nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit viel Phantasie und komödiantischem Witz. Oliver Twist ist schließlich nicht nur eine sozialkritische Erzählung, sondern vor allem ein sehr spannender, unterhaltsamer Krimi. Auf der variablen Bühne von Laurentiu Tuturuga entstehen mit schnellen offenen Umbauten das Armenhaus, aus dem Oliver flieht, das Londoner Diebesquartier und die elegante Wohnung des Juristen Brownlow, in der der kleine Einbrecher Unterschlupf findet.
Hunger haben die Kinder, die im Waisenhaus einer Kleinstadt für den brutalen Mr. Bumble (Julian Tejeda) schuften müssen. Düster sieht’s­ aus für Oliver, der sich traut, einen Nachschlag beim Essen zu erbitten und dafür in einem vergitterten Verließ landet. Der 14-jährige Jannik Beckonert (alternierend mit dem 12-jährigen Yannic Currlin) spielt und singt die Titelrolle psychologisch sehr differenziert und darstellerisch in jedem Moment überzeugend. Man ahnt es bereits: Der Junge hat trotz seiner unordentlichen Geburt seine Wurzeln nicht im Gossenmilieu. Auffälliges Interesse an ihm zeigt der feine Mr. Monks (als undurchsichtiger Lebemann: René Wedewart). Jan Hermann verkörpert brillant den gewissenlosen Gauner Fagin, der eine Bande von Kindern zu Dieben abgerichtet hat und ebenso schikaniert wie seine Freundin Nancy (Caroline von Bemberg), die nicht nur hervorragend singt, sondern auch tapfer den Kindern zur Seite steht. Stellvertretend für das große Kinder- und Jugendensemble (insgesamt wirken 20 Nachwuchsdarsteller mit, die sich in verschiedenen Rollen abwechseln) sei nur der hervorragende 14-jährige Lean Fargel als Schlitzohr Jack genannt.
Sympathisch ist Peter Neumann als leicht weltfremder Gentleman Brownlow, der wirklich eine Haushälterin wie Ms. Bedwin an seiner Seite braucht. Giselheid Hoensch ist dieses köstliche Faktotum, das schon mal beherzt zur Flinte greift, aber das Herz auf dem rechten Fleck hat. Einen lustigen Auftritt als strenger Dr. Grimwig gönnt sich der Regisseur Lachnit selbst. Als Traumgestalt taucht Olivers Mutter (Linda Moran Brown) kurz auf. Ihr erster und letzter Brief ist der Anlass für Olivers beschwerliche Reise in die englische Metropole mit all ihren zwielichtigen Figuren – wunderbar ausgestattet von Brigitte Winter, die diesmal für fast 50 Kostüme verantwortlich ist. Oliver wird zwar seine Mutter nicht wieder finden, aber viele neue Freunde. Und gemeinsam sind sie umschlagbar. Die gelungene Aufführung ist am JTB zu Recht ein Renner. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2½ Std., eine Pause
Nächste Vorstellungen:
Für Zuschauer ab 8 Jahren.

Dienstag, 09.02.2010

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