Totentanz - kultur 46 - April 2008

Tanz der gestorbenen Seelen - Totentanz von August Strindberg im Euro Theater Central

„Willst du mir nicht etwas vorspielen“ ist das Passwort für den Reigen der grausamen Eheschlachten, die der Schwede August Strindberg auslöste, der Amerikaner Albee mit Wer hat Angst vor Virginia Woolf auf Hochtouren brachte und Ingmar Bergman mit Szenen einer Ehe wieder aufs europäische Normalniveau zurückholte. Beim Totentanz im Euro Theater ist der von allen tränentreibenden Schalen gehäutete Kern zu besichtigen.
Der Regisseur Peter Tömöry macht aus dem 1905 in Köln uraufgeführten Stück absurdes, antipsychologisches Theater. Den Text (zur Sprache kommt nur der in sich geschlossene erste Teil, nicht der literarisch wesentlich schwächere zweite) hat er auf wiederkehrende Verhaltensmuster reduziert, die mal beiläufig hingerotzt und mal als große Arie zelebriert werden: groteske Stilübungen auf dem Minenfeld einer 25-jährigen Ehe. Ausstatterin Melinda Lörincz hat dafür ein metallisch schillerndes Militär-Tarnnetz auf die Bühne gehängt, hinter dem die Figuren als Fragmente sichtbar oder weggeblendet werden. Ihre fantastischen schwarz-silbernen Kostüme sind kostbare Rüstungen für die Silberhochzeit des Artilleriehauptmanns Edgar und der ehemaligen Schauspielerin Alice; selbst ihre schwarzen Eheringe sehen aus wie Waffen. Die Kinder sind weg, Familie und Freunde vergrault – man spielt (anders als bei Strindberg nicht mehr mit Karten) auf Leben und Tod mit klirrenden Steinen in silbernen Eisbechern. Die Verbindung zur Außenwelt ist ein Telegraphenapparat, dessen monotone Zeichen man hört, und der gelegentlich Papierstreifen ausspuckt, die zumeist ungelesen im Champagner-Eiskübel landen. Wein, Brot, Fleisch und gerös­tete Makrelen sind ein Luxus, den das unselige Paar nur noch herbeizitiert. Sie haben die Banalität ihres Hasses zur Kunstform erhoben.
Thomas Franke (s. auch S. 10) ist der feis­te, glatzköpfige, starrsinnige Tyrann Edgar. Er ist fürchterlich vital, sterbenskrank und ein begnadet bösartiger Lügner. Heike Bänsch ist mit hinterhältigem Charme seine jüngere Gattin Alice, eine in der eisigen Ehe-Hölle gestählte schöne Diva. Sie macht Theater aus dem Traumspiel mit ihrem Cousin Kurt, der als neuer Quarantänemeister auf die Insel der einsamen Zweisamkeit schneit. Johannes K. Prill geht als gedemütigter Familien-Underdog widerwillig auf alle Avancen ein, bis er Alices erotischen Fallstricken erliegt und Zähne zeigt. Die kurze Nähe bleibt eine spiegelverkehrte Illusion. Kurt ist die einzige menschliche Erscheinung im Tanz der gestorbenen Gefühle und kann deshalb auch wieder gehen. Vom Regisseur zusätzlich ins Spiel gebracht ist Julianna Vicziàn als Hausmädchen Jenny. Diese rätselhafte Küchen-Kassandra hat alles begriffen und lacht zu Bizets Carmen vom Band verzweifelt über den Tanz der maskierten Leichen. Unheimlich, aber insgesamt höchst hellsichtig. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 80 Min., keine Pause
Im Programm bis: ???

Dienstag, 07.10.2008

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