Clavigo - kultur 48 - Juni 2008

Heirate mich! - Clavigo von Johann Wolfgang Goethe in den Kammerspielen

Der französische Abenteurer und Autor Pierre Augustin Caron de Beaumarchais (1732 – 1799) hatte nicht nur eine merkwürdige Vorliebe für Prozesse, sondern genoss es auch, sein Privatleben öffentlich zu machen. Der vierte Band seiner Memoiren, in dem er von seinem erfolgreichen Kampf um die Ehre seiner in Spanien von dem windigen, ehrgeizigen Schriftsteller José Clavijo y Fajardo (1727 – 1806) verführten Schwester berichtet, war fast noch druckfrisch, als der 24-jährige Jurist und aufstrebende Dichter Johann Wolfgang Goethe den Stoff zu seinem Trauerspiel Clavigo verarbeitete. Aus einer Laune heraus und in der Rekordzeit von nur einer Woche.
Das 1774 erschienene Drama bringt also durchaus reale Zeitgenossen auf die Bühne. Kolportage mit einem Schuss Skandal – veredelt durch die straffe klassische Form und das genial hinzu erfundene balladesk tragische Ende. Der grundsätzlich ganz hübsche Einfall, das Stück in die Welt der heutigen Doku-Soaps zu verlegen, stammt von dem Regisseur Peter Carp, der die Inszenierung aus privaten Gründen leider nicht zu Ende führen konnte. Stefan Otteni ist kurzfristig eingesprungen, wollte sich im Programm jedoch nur für die „szenische Ausarbeitung“ nennen lassen, was nach vorsichtiger Distanzierung klingt. Auf der raffinierten Fernsehstudio-Drehbühne von Constanze Kümmel spielt man Soap-Darsteller, die Goethes Clavigo spielen, was ab und zu ziemlich witzige Doppelbödigkeiten schafft.
Arne Lenk gibt sympathisch wirrköpfig den jungen ambitionierten Journalisten Clavigo, der es in kurzer Zeit vom No-Name aus der fernen Provinz in die gehobene Gesellschaft und bis zum Archivarius des Königs geschafft hat. Ein emotional labiler Softie, der seinen plötzlichen Ruhm kaum fassen kann. Die Fäden dafür spinnt sein reicher, einflussreicher Freund Carlos, der sich hier auf Krücken durch die Szenerie schleppt. Möglicherweise ist er auch nur der Psychoklempner und Clavigos Coach in der gerade gedrehten Vorabendserie. Zwei Studioassistentinnen hat man ohnehin schon als kesse Klinikmäuschen verkleidet. Volker Muthmanns vielschichtiger, narzisstisch auf sein Geschöpf Clavigo fixierter Zyniker Carlos ist allerdings ohne Zweifel die interessanteste Figur der Inszenierung.
Philine Bühner (ab der nächsten Spielzeit fest im Bonner Schauspiel-Ensemble) zeigt als von Clavigo schnöde verlassene Marie viel Bein und Empfindsamkeit. Ihre treu sorgende Schwester Sophie (Nicole Kersten) und deren peinlich berührter Gatte (Hendrik Richter) haben es nicht leicht mit dieser durchgeknallten Schwärmerin, die nach dem geplatzten rosaroten Traum von Hochzeit (Kostüme: Andrea Sommer) im Sarg landet.
Tilbert Strahl-Schäfer (als Gast eingesprungen) hat vorher als tapferer Bruder Beaumarchais alle rhetorischen Geschütze und juristischen Hebel in Bewegung gesetzt und sogar seine Pistole gezückt, damit Clavigo endlich Maries Ehre wiederherstellt. „Du musst es schaffen, Clavigo!“, fordert die Stimme des Showmasters aus dem Off, wenn der wankelmütige Lover singend und schluchzend um Vergebung fleht. „Wir machen weiter“, lautet das Kommando, wenn die enttäuschte Braut tot umfällt. Clavigo, der sich mit Carlos’ Hilfe aus dem Staub gemacht hatte, stirbt am fünften Akt, den Goethe frei erfunden hat. An Maries Bahre ereilt ihn die blutige Rache ihres Bruders. Vermählung im Himmel, allgemeine Vergebung auf Erden. Der Mörder kann fliehen. Carlos ist mit seiner Klugheit am Ende und ruft nach einem Arzt. Klappe zu! Folge im Kasten!
Der wirkliche Beau­marchais soll nicht begeistert gewesen sein von der Rolle, die Goethe ihm zugeschrieben hat. Der wirkliche Clavijo, der später sogar Direktor des Königlichen Theaters in Madrid wurde, soll sich zeitlebens amüsiert haben über das theatralische Ableben seines Bühnen-Doppelgängers. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 1¾ Std., keine Pause
Im Programm bis: ?????
Nächste Vorstellung: Wiederaufnahme in der nächsten Spielzeit

Donnerstag, 04.12.2008

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