Tristan und Isolde - kultur 97 - Juni 2013

Tristan und Isolde von Richard Wagner im Opernhaus: Liebestraum im Treibhaus

In einem vom Zahn der Zeit angenagten Treibhaus lässt Regisseurin Vera Nemirova den zweiten und dritten Aufzug von Richard Wagners Tristan und Isolde spielen. „Im Treibhaus“ heißt ein Gedicht von Mathilde Wesendonck, das Wagner als Vorstudie zu seinem „Tristan“ vertonte. Die komplizierte Beziehung zwischen dem Komponisten, seiner Gattin Minna und dem Ehepaar Mathilde und Otto Wesendonck spielte bekanntlich eine entscheidende Rolle bei der Entstehung des 1865 uraufgeführten Werkes. Nemirova traut sich (entgegen diversen Interpretationen der letzten Jahre), packendes, fast intimes psychologisches Theater zu zeigen.
Und den wahrscheinlich längsten Opernkuss, den man je erlebte. Einen magischen Liebes­trank – Nemirova inszenierte in Bonn zuletzt Donizettis komische Oper L’elisir d’amore – braucht das in sich versunkene Paar kaum. Der vermeintliche Sühne-Todestrank ist klares Wasser aus einer Plastikflasche und wird erst auf den Lippen der Liebenden zu dem Sehnsuchts-Stoff, der die Zeit aufhebt in purer Gegenwart.
Als „klingendes Morphium“ bezeichnet Generalmusikdirektor Stefan Blunier im Programmheft Wagners „Tristan“-Musik. Unter seiner Leitung entfaltet sie tatsächlich ein hohes Suchtpotential. Wie aus dem Nichts entwickelt das fabelhaft präzis spielende ­Beethovenorchester den berühmten Tristan-Akkord und gönnt sich Zeit für die lyrisch zart präsentierte Ouvertüre. Dramatisch rauschhaft klingt es später, wobei Blunier die Zuhörer gern auch musikalisch erzählerisch an die Hand nimmt, was hilfreich ist bei dieser von Wagner selbst „Handlung“ genannten, aber vordergründig handlungsarmen langen Oper.
Ihre wunderbare Stimme konnte die amerikanische Sopranistin Dara Hobbs, zuletzt eine gefeierte Isolde in Minden und demnächst als Ortlinde in Bayreuth zu erleben, erst bei der zweiten Vorstellung einsetzen. Bei der Premiere musste sie vor einer Erkältung kapitulieren, spielte jedoch höchst eindrucksvoll die irische Königstochter Isolde, die ihrem Feind-Freund Tristan verfällt. Den Gesang steuerte Sabine Hogrefe vom Bühnenrand bei – eine großartige Isolde, die absolut fesselnd alle emotionalen Höhen und Tiefen der Figur auslotete. Mit roter Lockenpracht zu blass geschminkten Gesicht ist Hobbs eine aktive Heldin, die nach den gemeinen Demütigungen auf dem Schiff, das sie zu ihrem zukünftigen Gemahl König Marke bringen soll, selbstbewusst den Mann ihrer Träume auf das Bett lockt, das auf der Drehbühne von Ausstatter Klaus W. Noack bei allen Bildern im Zentrum steht. Warnend mischt sich Isoldes treue Gefährtin Brangäne ein. Daniela Denschlag im strengen Gouvernanten-Kleid ist mit hell timbriertem Mezzosopran fast zu gut für die Rolle der Nothelferin. Ihre Brangäne begreift alles und kann doch nur verzweifelt zusehen, wie ihre Herrin schutzlos einem übermächtigen Gefühl folgt.
Robert Gambill glänzt mit seinem prachtvollen Tenor und steht die kräfteraubende Tris­tan-Partie brillant durch, auch wenn im letzten Akt das Orches­ter ihn manchmal zu übertönen droht. So wie ihn auf seinem Krankenbett das wuchernde Grün in Kurvenals Gewächshaus fast verdeckt. Der treue Freund umsorgt den von schweren Träumen heimgesuchten Tristan wie seine exotischen Pflanzen. Mark Morouse aus dem Bonner Ensemble ist ein stimmliches Ereignis und hat sich inzwischen zu einem Wagner-Bariton entwickelt, der jedem Haus Ehre machen könnte.
Giorgos Kanaris singt perfekt den königstreuen Melot, der den Verräter Tristan niederstreckt.
Tatsächlich scheint Tristans Untreue König Marke schlimmer zu treffen als Isoldes Ehebruch. Der Bass Martin Tzonev gestaltet mit seiner unverwechselbaren Stimme und seiner spielerischen Intelligenz einen nachdenklichen Marke. Einen Augenblick lang saß er zwischen Tristan und Isolde auf dem Bett und reichte ihnen die Hände. Verzeihung wäre möglich gewesen angesichts der unheilbaren Liebe. Ihre schönsten Momente erreicht diese im verdichteten Kammerspiel des zweiten Aktes. Das Treibhaus wird zum künstlichen Schutzraum für die sprießenden Sehnsuchtsblüten. An die blinden Glaswände schreiben Tris­tan und Isolde all die Wehe-Worte, füllen ihren schwülen, vom giftigen Duft der Vergänglichkeit geschwängerten Traumgarten mit Zetteln voller Nacht-Poesie, zeichnen sich ihre Namen auf die Haut und sind schon weggetreten aus der kalten Wirklichkeit, die sie unweigerlich einholen wird.
Tödlich verletzt nimmt Tristan in seinem seligen Fieberwahn die per Schiff herbeigeeilte Isolde kaum noch wahr. Sie bleibt indes aufrecht stehen als selbstständiges Subjekt ihrer Todeslust. Sie ist nicht das Objekt einer unmöglichen Liebe, sondern entscheidet sich freiwillig für den endgültigen Weg zu einem fernen, unerforschlich lichten Ort ohne Wiederkehr.
Der Bonner „Tristan“ hat sich damit exzellent eingeschrieben ins überall üppig illustrierte Wagner-Geburtstagsbuch. Die fabelhaft gute Aufführung ist eine Reise wert und erhielt die verdiente bundesweite Beachtung. Es ist die letzte Opernproduktion in der Amtszeit von Generalintendant Klaus Weise, der damit noch mal beweist, auf welch hohes Niveau er sein Ensemble und sein Haus in den vergangenen zehn Jahren geführt hat. E.E.-K.

Spieldauer ca. 5 Stunden, inkl. zwei Pausen
Die letzten Termine:
2.06. / 13.07.13

Dienstag, 26.11.2013

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