Der zerbrochne Krug - kultur 97 - Juni 2013

Der zerbrochne Krug von Heinrich von Kleist in den Kammerspielen: Beschädigte Welt

Schon nach einer knappen Viertelstunde ist Pause. Der Täter ist bekannt. Jeder weiß, dass es der Dorfrichter war, der auf der Suche nach einem erotischen Abenteuer den Krug zerbrach. Schutzlos nackt liegt der alte Lüstling Adam da und scheint ängstlich zu träumen, während die Magd Margarete ihm sachte den fiebrigen Schweiß abwischt und wie eine Mater Dolorosa seinen blutigen Schädel in ihren Schoß bettet. Ein starkes Bild wie die gespenstisch im Bühnennebel auftauchende Dorfgesellschaft in schwarzglänzenden Richtermänteln und mit hochgebauschten weißen Perücken (Kostüme: Nina Kroschinske). Zugerichtet und bewegungslos eingezwängt in ein schwarzes Reifrock-Kleid berichtet Eve, was ihr widerfuhr. Wie sie ihren geliebten Ruprecht retten wollte vor dem lebensgefährlichen Einsatz in den Kolonien. Wie der Richter sie mit gefälschten Papieren erpresste und sich gefügig zu machen suchte.
Regisseur Klaus Weise macht aus Eves entscheidender Aussage einen Albtraum-Monolog. Er greift dabei zurück auf Kleists ursprüngliche Fassung der letzten Auftritte seines Lustspiels Der zerbrochne Krug, den sogenannten „Variant“. Er stellt Eves große Erzählung jedoch – anders als Goethe bei der Weimarer Uraufführung 1808 – als Prolog voran. Es ist eine merkwürdig künstliche alte Welt, die mit dem Krug zu Bruch ging. Für einen unordentlichen Amtsrichter wie Adam ist in der neuen Ordnung kein Platz mehr. Beschädigt ist freilich auch Eves Vertrauen in die Wahrheit alles Gesagten, nachdem sie dem Baum der Erkenntnis gefährlich nahe kam. Anastasia Gubareva verkörpert nach ihrem düsteren ersten Auftritt im weiteren Verlauf mit unschuldsweißem Kleid das naive blonde Mädchen, dem übel mitgespielt wurde. Um Eves bedrohtes Lebensglück geht es letztendlich in der Gerichtsverhandlung, die das eigentliche Drama ausmacht. Obwohl sie dabei nur noch wenig zu sagen hat und sprachlos verstört leidet.
Viel zu sagen im Dorf Huisum hat dagegen der Richter Adam, der sich in seiner Amtsstube häuslich eingerichtet hat. Überall liegen Aktenbündel herum auf der Einheitsbühne von Martin Kukulies, die nach hinten von einer grauen Draperie begrenzt wird. Eine Theaterposse ist der Prozess um den wertvollen Krug, dessen Verlust Eves Mutter Marthe wortreich beklagt. Susanne Bredehöft macht aus Kleists Blankvers-Lamento ein köstliches Kabinettstück. Dass sie sich wie fast alle anderen Figuren von unten hochwälzen muss ins Amtsgemach des Rechtspflegers Adam, trägt zur Wahrheitsfindung leider nicht viel bei.
Ralf Drexler ist der unverwüstliche Dorfrichter mit markanter Platzwunde auf dem kahlen Kopf und Schürfspuren am Bein über dem verteufelten Klumpfuß. Wie er sich in immer dreisteren Lügen verheddert, ist ebenso grotesk wie durchschaubar. Hinter seiner feisten Erscheinung und robusten Listigkeit lauern indes schon die Zweifel. Im Grunde weiß er, dass alle Ausflüchte vergeblich sind und dass die Zeit seiner Autorität abgelaufen ist. Elegant gibt Birger Frehse mit blonder Pagenfrisur den hellen Schreiber Licht, der in alle Richtungen beflissen schon auf den Posten seines Herrn spekuliert.
Gerichtsrat Walter nimmt seinen lästigen Revisionsauftrag eher als notwendiges Übel wahr, bis er leicht amüsiert auf den Schwindel eingeht. Bernd Braun spielt den souverän kühlen Rechtsverwalter mit zunehmend ironischem Interesse an der Aufregung der kleinen Leute, die sich vor den Schranken des hohen Gerichts endlich mal in Szene setzen dürfen. Dennis Pörtner als Jungbauer Ruprecht Tümpel macht seinem Namen alle Ehre, wenn er auf dem guten Ruf seiner Verlobten Eve herzlos herumtrampelt. Sein biederer Vater Veit (Johannes Lepper) ist als grinsender Tölpel auch nicht gerade ein Ausbund an Intelligenz. Veits Schwester Brigitte (Anna Möbius) darf als Kronzeugin kurz glänzen im niederträchtigen Wortgefecht. Kleists rhythmisch hinterhältige Vers-Rede beherrschen alle ordentlich.

Klaus Weises letzte Bonner Schauspiel-Inszenierung ist eine spannende Konfrontation zwischen Recht und Wahrheit.

Für den Schluss greift Weise noch mal zurück auf den „Variant“. Nach dem kurzweiligen und streckenweise prall komischen Prozess mit dem sich selbst entlarvenden Richter, bietet Walter der armen Eve bares Geld an zum Freikauf ihres geliebten Ruprecht. Wenn er nur zum Friedensdienst im eigenen Land abkommandiert wird, müsste sie es freilich mit Zinsen zurückzahlen. Eve verweigert das Geschäft. Sie glaubt nicht mehr an den Wert des Goldes, aber wieder an die Gerechtigkeit und erntet dafür vom Gerichtsrat einen Kuss.
Leise rieselt der Schnee auf den bloßgestellten, aus dem Amt gejagten Adam. Unbeschädigt verlässt freilich niemand den Schauplatz. Frau Marthe wird ihre Schadensersatz-Forderung bei der nächsthöheren Instanz vorbringen, damit wenigstens dem Krug sein Recht geschieht. Nach objektiv geltenden Gesetzen. Das Streitobjekt geriet ja fast aus dem Blick angesichts des eigentlichen Opfers. Eve bleibt betrogen, auch wenn ihre Unschuld bewiesen ist.
Klaus Weises letzte Bonner Schauspiel-Inszenierung ist eine spannende Konfrontation zwischen Recht und Wahrheit. Mäßig lustvoll und ohne blankgeputztes Happy End. Aber sehr nah an Kleists Erkenntniszweifeln. Eher freundlicher als stürmischer Premierenbeifall. E.E.-K.
Spieldauer ca. 2½ Stunden inkl. einer Pause
Die nächsten Termine:
29.05. / 1.06. / 8.06. / 14.06. / 22.06. / 29.06. / 3.07. / 7.07. / 18.07.

Am 2.06.um 11 Uhr findet im Foyer der Kammerspiele im Rahmen der Reihe „Nachgefragt“ ein Gespräch mit dem Inszenierungsteam und Mitgliedern des Ensembles statt.

Dienstag, 26.11.2013

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