Die Räuber - kultur 96 - Mai 2013 - Theater Bonn (Kammerspiele)

Die Räuber von Friedrich Schiller in den Kammerspielen: Genialer Horrortrip

Revolutionäre Begeisterung will sich nicht recht einstellen im Räuberlager von Karl Moor. Der ist vor allem ein Vater-Geschädigter in der Räuber-Inszenierung von Niklas Ritter. Karl rebelliert gegen die Ungerechtigkeit, die ihm persönlich widerfahren ist. Wut und Melancholie prägen seinen Aufstand gegen das „schlappe Kastratenjahrhundert“, ein idealistischer Freiheitskämpfer mit politischen Visionen ist er ebenso wenig wie seine Kumpanen. Es sind enttäuschte junge Adelige und bürgerliche Intellektuelle, die die Verlogenheit und Engstirnigkeit der Väterwelt satt haben und sich gefallen in ihren Protest-Posen und ihrer sprachlichen Kraftmeierei.
Schillers 1782 in Mannheim mit spektakulärem Erfolg uraufgeführtes Erstlingsdrama, das wie ein Erdbeben die deutsche Theaterwelt erschütterte, ist ein Zeitstück. In diesem Inbegriff der kurzen Sturm-und-Drang-Periode entlädt sich der Hass des Autors auf den Übervater, den Herzog Karl Eugen von Württemberg, und das strenge Regiment an dessen Hoher Karlsschule. Karl Moor will die individuelle Autonomie von Körper und Seele, der gewaltsame Umsturz ist nicht sein Ziel. Die Rolle des Räuberhauptmanns übernimmt er in einer Mischung aus Eitelkeit und Resignation.
Hendrik Richter spielt ihn sehr genau als Zweifler, der nicht an wirkliche Veränderungen glaubt. Er ist kein strahlender Held, der sich in die Gewalt verirrt, sondern ein Aussteiger, der grandios sein möchte und von allen anerkannt. Arne Lenk verkörpert hervorragend den ehrgeizigen Seelenkrüppel Franz. Keine durch äußerliche Benachteiligungen gezeichnete Erscheinung, sondern durch väterliche Willkür dem erstgeborenen Liebling Karl hintangestellt. Kalt und zynisch betreibt Franz sein Rachegeschäft, füttert seinen Erzeuger mit Brei wie mit Lügen und bahnt sich seinen Weg zur Herrschaft.
In einem engen Kasten residiert der Patriarch Moor wie in einer längst vergangenen Theaterwelt (Bühne: Bernd Schneider). Mit Allongeperücke und Rokoko-Kostüm gibt Günter Alt den alten Grafen als seniles quengeliges Kind, das freilich verdammt listig auftrumpfen kann und mit böser Lust seine Umgebung tyrannisiert. In adretten Uniformen (Kostüme: Ines Burisch) gruppieren sich die jungen Herren anfangs um den feisten Herrscher. Später werden sie ihre eleganten Jacken eintauschen gegen Kampf-Anoraks und ihre weißen Hosen und Hemden so mit Blut besudeln, als ob sie tatsächlich in die Schlacht gezogen wären.
Die Gewaltorgie mit Splatter-Film-Ästhetik nimmt ihren unerbittlichen Lauf in Karls Räuber-Bande, die sich ab und zu auch als tolle Boy-Group geriert. Das ist manchmal irre komisch, zumal der Musiker Tilman Ritter am Piano herrlich frech Mozart mit Chopin kreuzt und nach allem revolutionären Pathos „Ein Männlein steht im Walde“ übriglässt. Erschreckend „still und stumm“ hocken die Jungs nach dem Blutrausch tatsächlich herum. Selten um ein Wort verlegen ist der intrigante Spiegelberg (brillant: Konstantin Lindhorst), der hinter Karls Rücken sein eigenes Spiel treibt. Der tapfere Roller (Michael Stange) überlebt die Schlacht mit dem mächtigen Soldatenheer nicht; Schweizer (Grégoire Gros) und Schufterle (Jan Kersjes) sind nur mäßig zuverlässige Genossen in der Kampfzone, die immer mehr zum ziellosen Terrorismus ausartet. Simon Brusis spielt u.a. das Faktotum Herrmann, das heimlich den für tot erklärten alten Grafen am Leben erhält.
Gegen alle Angriffe gefeit zeigt sich Ines Schiller (der Name der Gastschauspielerin ist wirklich Zufall) als Amalia. Diese junge Frau ist erotisch selbstbewusst und ein Lichtblick in der an sich selbst krankenden Männerwelt. Sie lässt die geilen Blicke des alten Grafen ebenso abblitzen wie Franzens schmierig brutale Avancen. Sie verteidigt ihre Ideale und wird von der Hand ihres geliebten Karl fallen, der seinen alten Treueschwur gegenüber der längst zerfallenen Bande nicht brechen kann.
Die Räuber sind ein Männerstück, auch wenn hier am Ende die wüs­te Räuberhorde sogar über ihre Geschlechtsrollen stolpert.
Franz tötet sich selbst explosiv mit einer Zündkerze zwischen den Zähnen, was per Video auf Großleinwand wirklich Bomben-Effekt macht. Was sonst noch bis zum fünften Akt überlebt, wird in einem grotesken Puppenspiel erledigt. Lange vorher hat Regisseur Niklas Ritter, der ansonsten Schillers ungestüme Prosa ohne Verwischungen in die Gegenwartssprache präsentiert, die Wütenden und Verkrachten kurz lautstark ein paar Sätze aus Bernward Vespers autobiographischem Romanessay Die Reise zitieren lassen, die fast wie Schiller klangen. Das spannt einen Bogen vom prärevolutionären späten 18.Jahrhundert zu den RAF-Rebellen der 1970er Jahre. Die hochintelligente Aufführung bleibt dort aber nicht stehen, sondern wirft auch Schlaglichter auf die Bombenbastler zu Beginn des 21.Jahrhunderts.
Der überlebende Grafensohn Karl hangelt sich am Schluss über allerhand Bühnen-Abgründe aus der großen Show-Scheinwelt. Das auf seinen Kopf gesetzte Geld soll ein armer Tagelöhner erhalten. Eine moralische Tat ist nicht mal das. Nur eitle Gier nach Anerkennung. Das einfache Volk war diesem egozentrischen Möchte-Gern-Robin-Hood stets völlig egal. Fehlanzeige bei der Versöhnung mit der Gesellschaft: Dem Mann kann leider nicht geholfen werden.
Ganz klar sehenswert und anregend sowohl für erwachsene „Räuber“-Kenner wie für junges Publikum ab ca. 14 Jahren. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2½ Stunden inkl. einer Pause
Die nächsten Termine:
15.05. / 22.05. / 31.05. / 9.06. / 11.06. / 13.06. / 16.06. / 28.06.13

Dienstag, 12.11.2013

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