Waisen - kultur 97 - Juni 2013

Waisen von Dennis Kelly in der Werkstatt: Leiser Psycho-Thriller

Ein weißer Kinderstuhl steht hinten in der Ecke. Helen und Danny haben einen kleinen Sohn und eine schöne Wohnung in einem gut durchmischten Stadtteil. In der Ausstattung von Elena Köhler ist der gepflegte Innenraum mit ein paar Metallstangen markiert. Die Außenwelt hat nichts zu suchen in diesem bürgerlichen Geviert, wo das Ehepaar einen festlichen Abend für sich genießen möchte. Gerade hat Danny den Rotwein entkorkt, als Helens Bruder Liam mit blutigem T-Shirt hereinplatzt. Und behauptet, dass er einem verletzten fremden Jungen geholfen habe und nun selbst Hilfe brauche. Möglichst ohne Arzt und Polizei.
Was sich da zusammenbraut, hat Jennifer Whigham in der Werkstatt auf explosiver Hochspannung inszeniert. Das Stück Waisen des englischen Dramatikers Dennis Kelly (*1968) ist ein Schocker auf leisen Turnschuhsohlen. Uraufgeführt im renommierten Tra­verse Theatre beim Edinburgh Fringe-Festival 2009, ist es derzeit ein Renner auf den deutschsprachigen Bühnen.
Dass Liam der Täter ist, ahnt Helen schnell. Aber er ist ihr Bruder und einschlägig vorbestraft. Grégoire Gros spielt ihn nicht als Brutalo-Typen, sondern als verstörten sensiblen Jungen, der einfach sein Messer zückte, als wieder mal so ein Araber-Macho auftauchte. Einer dieser kriminellen Ausländer, die den Einheimischen die Jobs und die Mädchen wegnehmen.
Johanna Wieking ist die große Schwester, die nach dem frühen Tod der Eltern die Mutterrolle übernahm. Eisern besteht sie darauf, dass lieber ein Fremder da draußen verbluten soll als ihr Blutsverwandter. Sie hat verdammt gute Argumente, um Danny von einem Notruf abzuhalten. Nico Link gibt diesen braven Verteidiger der Menschlichkeit, der schließlich kapituliert vor der hinterhältigen Waisen-Verschwörung mit ihrer schmerzhaften Familien-Bruchstück-Vergangenheit. Immerhin gibt es eine psychologische Geisel. Der kleine Shane (Felix Flögl / Jan Philipp Will) soll nicht verwaisen und wird wohl nie erfahren, wie seine Eltern heil aus der schlimmen Sache mit seinem Pechvogel-Onkel rauskamen.
Eine üble, brandheiße Geschichte, die mit ihren Halb- und Viertelsätzen und all den unausgesprochenen Wahrheiten knallhart unter die Haut geht. E.E.-K.
Spieldauer ca. 1¾ Stunden, keine Pause
Die letzten Termine:
29.05./5.06./14.06./26.06./9.07.13

Dienstag, 03.12.2013

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 19.04.2024 21:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn