Ein Kind unserer Zeit - kultur 97 - Juni 2013

Ein Kind unserer Zeit von Ödön von Horváth im Euro Theater Central: Beklemmend hellsichtig

„Jetzt hat mein Dasein plötzlich wieder Sinn!“, erklärt der anonyme junge Soldat. Die demütigende Arbeitslosigkeit und Existenznot ist vorbei. Mit den Kameraden in Reih und Glied zu stehen, macht ihn stolz. Das Vaterland braucht seinen Dienst, alles Fremde ist feindlich und nichts wert angesichts des starken und mächtigen Reiches, das ein leuchtendes Vorbild für die ganze Welt werden soll. Im Euro Theater Central spielt Phi­lip Schlomm Ein Kind unserer Zeit. Mit weißem Unterhemd und Turnschuhen ist er auch ein Kind dieser Zeit. Ein unauffälliger Typ, kleinbürgerliche Sozialisation, saubere Papiere. Fast beiläufig schleichen sich die monströsen nationalistischen Phrasen in seinen Redefluss ein. Moral ist für Schwächlinge. Handeln ist nötig. Recht braucht Gewalt.
Ödön von Horváths letzter Roman Ein Kind unserer Zeit erschien 1938, kurz nach dem Tod des 36-jährigen Autors, und beschreibt mit beklemmender Hellsicht, wie sich der Faschismus ausbreitet im Kopf eines Menschen. Stefan Zweig nannte das Werk zu Recht „eines der wichtigsten deutschen Dokumente unseres Zeitalters“.
Das in Horváths Text nicht genannte Land wird in der Inszenierung von Bastian Tebarth durch das Schild „Exit Deutschland“ kenntlich. Die Zuschauer sitzen zu beiden Seiten der schmalen Bühne, auf der Schlomm die gespenstisch schlichte Banalität des Bösen präsentiert. Endlich gibt es eine große männliche Aufgabe: Krieg! Der plötzliche Einmarsch in ein schwächeres Land erscheint ihm als kühnes Abenteuer. Mord und Verwüs­tung betrachtet er völlig ungerührt. Bis sein verehrter Hauptmann angewidert von den Kriegsverbrechen in den sicheren Tod geht und der kleine Soldat beim Rettungsversuch schwer verletzt wird.
Die Regie findet eindrückliche Bilder für den Vernichtungswahn. Ein aggressiv zerschnittener Apfel wird zum Zeichen für die kalte Lust – an den verachteten Weibern und am brutalen Handwerk des Tötens. Aus Papier bastelt sich der Soldat eine kleine Pistole, während er die Wiederherstellung seiner Kriegs­tauglichkeit herbei sehnt. Sorgfältig verstaut er seine gesamte alte Kleidung in Plastikbeuteln und steht splitternackt da, bevor er sich fein macht für den Besuch bei der Witwe seines Hauptmanns. Ausgerechnet in deren Armen wird sein fast schon geheilter Arm für immer unbrauchbar.
Einige Textpassagen werden elektronisch verfremdet zugespielt, wenn der Schauspieler sein iPod unter dem von der Decke hängenden Mikro platziert und sich selbst wie einem Fremden zuhört. Dialogfähig ist dieser an Leib und Seele Versehrte nicht mehr. Das Mädchen an der Kasse des gruseligen „verwunschenen Schlosses“ auf dem Rummelplatz wagte er nicht anzusprechen. Den Buchhalter, der die junge Frau nach einer Abtreibung dem Gefängnis überließ, bringt er um. Ein willkürlicher Mord, so sinnlos wie alles, was der desillusionierte Soldat für eine höhere Ordnung hielt. Einen lebendigen Arm hat er geopfert für den „Volkskörper“, der ihn zurückspie in die Kälte. Eine simple Brausetablette lässt am unvermittelt schnellen Ende die braune Brühe in seinem Kaffeebecher überschäumen.
Vieles ist hier leider gestrichen aus Horváths großem Monolog-Roman, der mit seiner grausam lakonischen Sprache, die den Marschrhythmus des Anti-Humanismus fürchterlich genau imitiert, geradezu nach der Bühne schreit. Übrig geblieben sind vor allem die ersten Kapitel, die den NS-Wahnsinn ankündigen. Trotzdem wird klar: Dieses „Kind unserer Zeit“ ist mit seiner Wut auf alles, was ihm die Gegenwart versagt, der barbarische Spießer der Zukunft. Wie fruchtbar der braune Terror-Schoß noch ist, beweist der aktuelle NSU-Prozess.
Dass die mäßig inspirierte Aufführung im Euro Theater nicht zum braven Lehrstück gerinnt, liegt an dem Schauspieler Schlomm, der einen zeitlosen Alltagstypen zeigt, aus dem unversehens ein Amokläufer werden kann. Redlich verdienter Beifall bei der ausverkauften Premiere. Und eine Anregung, Horváths abgrundtief vorausschauenden Roman neu zu lesen. Empfehlenswert für Erwachsene und besonders für Jugendliche ab 14 Jahren. E.E.-K.


Spieldauer ca. 1 Stunde,
keine Pause
Die nächsten Termine:
28.05./29.05./13.06./14.06.13

Dienstag, 03.12.2013

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