Mary Shelley - kultur 97 - Juni 2013

Mary Shelley - eine monströse Geschichte im Theater Die Pathologie: Frankensteins Monster-Mutter

Mary Shelley war neunzehn, als sie in Lord Byrons Villa am Genfer See, die kurze Zeit zum Parnass der schwarzen Romantik britischer Prägung wurde, ihren Frankenstein-Roman verfasste, der eine ganz Flut von populären Erzählungen und Filmen über Experimente mit künstlichem Leben hervorbrachte. Mit siebzehn hatte Mary ihre erste Tochter geboren. Es ist Marys eigene seltsame Geschichte und nicht die ihrer Erfindung Frankenstein, die im Theater Die Pathologie zu erleben ist. Die Schauspielerin Anne Scherliess hat die turbulente Biographie der Schriftstellerin Mary Shelley (1797 – 1851) aus Briefen, Tagebüchern, Romanzitaten und ein paar augenzwinkernden Kinoanspielungen pfiffig neu zusammengesetzt.
Farbige Papierschnipsel bedecken den Bühnenboden in der Pathologie. Die Schauspielerinnen Maren Pfeiffer und Anne Scherliess, witzig weiblich-männlich kostümiert, verkörpern all die merkwürdigen Figuren dieser romantischen Lebensreise zwischen ziemlich prosaischen Geldnöten und literarischen Höhenflügen. In der Regie von Charlotte Schneider wird Frankensteins Schöpferin selbst zur Kreatur ihrer Phantasien. Etliche Schwangerschaften und Tode, darunter zwei weibliche Selbstmorde, verzeichnet die dramatische Bilanz.
Mary Godwin wuchs in einer Londoner Intellektuellen-Familie auf. Ihre Mutter, die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft, starb kurz nach ihrer Geburt. Kühl bleibt die Beziehung zu ihrem strengen Vater William Godwin, der sozialphilosophische Bücher publiziert und mit seinen liberalen Ideen für Aufsehen sorgt. Es bleibt bei der Theorie, praktische Sorge für seine eigenwillige Tochter lehnt er ab. Fette Schecks nimmt er gern von dem aus einer wohlhabenden Familie stammenden Dichter Percy Shelley, ist freilich nur mäßig erbaut davon, dass die hübsche Mary mit diesem psychisch labilen, zudem noch verheirateten Künstler durchbrennt. Mit von der Partie ist Marys Halbschwester Claire, die heimlich eine Tochter mit dem recht volatilen Dichter Byron bekommt und bald verliert. Nur bedingt gesellschaftsfähig ist der ganze, exzentrische Kreativ-Clan, dem es ständig an Ressourcen fehlt für das Luxus-Lotterleben jenseits der Alpen. Wie eine böse Spieluhr klingt das Toten-Glöckchen, wenn wieder mal ein kurzes Leben endet. Percy ertrinkt 1822 im Mittelmeer.
Die beiden Schauspielerinnen machen aus den individuellen Wirrnissen kein Emanzipations-Heldentum, sondern spielen die Geschichte mit hübsch abgründiger Lust am Ungeheuerlichen. Mit alten Märchen wollten die gebildeten jungen Engländerinnen sich am Anfang des 19.Jahrhunderts nicht mehr abspeisen lassen und erfanden eigene Chimären. Die vierfache natürliche Mutter (drei ihrer Kinder starben früh) Mary Shelley erlas sich einen neuen Prometheus als Menschenschöpfer nach ihrem Ebenbild. Dessen aus totem Material hergestellte namenlose Kreatur überlebte trotz einiger Konstruktionsfehler. Frankensteins melancholisch mörderisches Monster verschwand zwar friedlich im ewigen Eis, zeugte jedoch schauerliche Androide bis ins 21.Jahrhundert.
Mary Shelley war selbst ein kapriziöses Geschöpf ihrer Zeit und ist eine Neubesichtigung im Theater wert. Empfehlenswert für erwachsene literarische Feinschmecker.
E.E.-K.
Spieldauer ca. 65 Minuten, keine Pause
Nächster Termin: 2.06.13

Dienstag, 03.12.2013

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