Konsequenzen - kultur 93 - Februar 2013

Konsequenzen von bo komplex im Euro Theater Central: Getanzte Ortserkundung

Eine Treppe aus Podesten, belegt mit weißem Papier, teilt den Raum. Eine Art Wasserfall suggerieren die dreidimensionalen Videoprojektionen von Lieve Vanderschaeve. Die Zuschauer sitzen zu beiden Seiten dieser Stufen-Bühne und sind sehr nah dran an den Konsequenzen des Tänzerpaares Bärbel Stenzenberger und Olaf Reinecke, das unter dem Namen bo komplex firmiert und seit einigen Jahren in der freien Bonner Tanzszene Aufsehen erregt. Reineckes von beiden Künstlern choreographiertes Solo Büchsenlicht, eine tänzerische Reflexion über die Angst vor und die Sucht nach dem Rampenlicht, war kürzlich wieder in der Brotfabrik zu erleben.
Hoch oben verknäueln die beiden Tänzerleiber sich wie der mythische androgyne Kugelmensch aus Platons „Symposion“, in dem der Komödiendichter Aristophanes die Entstehung des erotischen Begehrens aus der ursprünglichen körperlichen Einheit der Geschlechter ableitet. Mann und Frau trennen und suchen sich, verstecken sich neckisch unter den Stufen, untersuchen Zwischenräume und Beziehungsmöglichkeiten auf engstem Raum. Das hat Folgen für die Bewegungen. Jede Entscheidung setzt einen körperlichen Impuls für den Fortgang des Geschehens, das nicht als große Erzählung inszeniert ist, sondern als episodische Situationsverschiebung. Jeder Schritt spielt mit den offenen Chancen und deren Einengung, sobald eine Richtung eingeschlagen ist. Alles Leichte ist gleichzeitig schwer, luftig runde Gebilde lassen virtuelle Wände einstürzen, jede Tür ist ein verschlossener Ausweg, jeder Sturmlauf ein Stillstand.
Es gibt keine Eindeutigkeit in diesem raffinierten Passagen-Spiel mit denkbaren Alternativen. Die Konsequenzen sind ein unendlicher Fluss, in den man aber nur einmal steigt. Die Ufer markiert die Toncollage von Phillip Roscher, die Text-Bruchstücke aus Aufführungen (die meisten stammen aus Produktionen des Euro Theaters) zu einem absurden „teatrum mundi“ vermixt. Vieles lässt sich herausdenken aus diesem performativen Essay, bei der man jeden arbeitenden Muskel und jeden körperlichen Oberflächenreiz ohne den Filter der Ferne hautnah spürt. Das ist durchaus anstrengend. Genauso wie der heillose Riss zwischen den Geschlechtern und die unüberwindlichen Differenzen bei der individuellen Erfahrung von Raum und Zeit. Die beiden Tänzer-Choreographen stellen berührend und häufig auch sehr witzig die Wahrnehmung auf die Probe. Artisten auf der Revue-Treppe, entschieden ratlos, aber konsequent bewegt wie das nachdenklich applaudierende Pub­likum. E.E.-K.


Spieldauer ca. 75 Minuten, keine Pause
Weitere Termine: 14.02. / 15.02.13

Donnerstag, 12.09.2013

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