Getürkt - kultur 93 - Februar 2013

Getürkt von Jörg Menke-Peitzmeyer in der Werkstatt: Dokumentation und Spiel

Das Wortspiel ist Methode. Ein angeblicher Libanese, in Deutschland geboren, wird als Volljähriger „getürkt“, also in die Türkei zurückgeschickt, neudeutsch „abgeschoben“, denn seine Eltern sind Türken und haben das Libanese-Sein „getürkt“, falsch behauptet. Die Abschiebung geht aber nicht so einfach, denn der junge Mann, Musa, spricht kein Türkisch, umso besser Deutsch, liest Bücher, sogar Sätze von Kafka. Der Versuch seiner türkischen Freundin, ihm die Sprache beizubringen, scheitert. Sein serbischer Abschiebehaftmithäftling kann sich nur totlachen über sein Problem, sein Identitätsproblem.
Es ist ein politisches Theaterstück, eine Mischung aus Dokumentation und Spiel, das von Marita Ragonese in der Werkstatt inszeniert wurde. Es ist ein unterhaltsames Stück mit Selbstironie und Witz, was der Ernsthaftigkeit keinen Abbruch tut. Die Botschaft ist klar: Von deutschem Boden darf keine Abschiebung ausgehen. Das Einzelschicksal repräsentiert die Tragödie der vielen. Es wird nicht angeklagt, es wird gezeigt. Das ist reine Klage.
Das Stück hatte in Offenburg Uraufführung und Premiere. In der Bonner Werkstattbühne verdient es ein ausgebuchtes Haus. Die Rollcontainer variieren spielerisch, kunstvoll und ästhetisch das Bühnenbild. Der Draht­seilakt des Zueinanderfindens der auseinander gerissenen Liebenden kann nur misslingen und wird mit einem Udo Lindenberg-Song unterfüttert. Eine sehr eindrucksvolle Szene. Marita Ragonese arbeitet mit behutsamen und damit umso markanter wirkenden Details, wie die Kapuze zum Verbergen, den gerollten Teppich zum Beschützen, die Buchzitate zur Resignation.
Es spielen mit beeindruckender Wandlungsfähigkeit und überzeugender Präsenz in allen Rollen: Sinan Hancili als „Musa“, Elmira Rafizadeh als seine Freundin „Ceren“, Fabienne Trüssel als „Ulrike“, „Bibliothekarin“ und „Ärztin“, Hans H. Diehl als „Trostmann“, „Nis­ka“, „Polizist“ und „Prostituierte“. Sprecher aus dem off war Dominik Graf.
Schau genau hin!, will das Stück sagen. Schaut es Euch an!, möchte ich sagen.

Theodor Cramer

Das Stück war leider nur bis zum 26.01.13 auf dem Spielplan.

Donnerstag, 12.09.2013

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