Nichts, was im Leben wichtig ist - kultur 93 - Februar 2013

"Nichts, was im Leben wichtig ist" von Janne Teller im Jungen Theater Bonn
Schmerzhafte Wertefragen

Die erwachsene Agnes (Katharina Felschen als einziges Mitglied des JTB-Erwachsenen-Ensembles) erzählt, was damals in ihrer Schulzeit geschah. Der Regisseur Stefan Hermann behält sehr geschickt den nüchternen Bericht-Stil des umstrittenen Erfolgsromans der dänischen Autorin Janne Teller bei. Acht Jugendliche verkörpern in den Spielszenen die vielen etwa gleichaltrigen Schülerinnen und Schüler, die vor fundamentale Fragen des Daseins gestellt wurden: Was bedeutet etwas? Wie halten wir die Konfrontation mit der Negation von Sinn aus? Wo liegen die Grenzen unseres Handelns? Die jungen Schauspieler stellen sich den in Nichts, was im Leben wichtig ist aufgeworfenen philosophischen Problemen mit großer Bühnenpräsenz, Intensität und Ernsthaftigkeit. Um es gleich vorweg zu sagen: Es ist eine mutige, anspruchsvolle Produktion für Jugendliche und Erwachsene, die den Kern unseres Menschseins trifft. Wenn wir geboren werden, um zu sterben, ist die Zwischenzeit entweder ein unnützes, möglicherweise destruktives irdisches Intermezzo oder ein konstruktiver Lebensversuch.
Im offenen Einheitsbühnenbild von Daniela Hohenberger markiert ein Lattengerüst den Pflaumenbaum, auf den sich Pierre Anthon zurückgezogen hat und seine Mitschüler wie bei einem unheimlichen Experiment beobachtet. Der Junge (alternierend gespielt von Marian Lehnberg und Vincent Schön) behauptet, dass nichts etwas bedeutet und dass man deshalb gleich mit dem Lernen aufhören kann, weil es sowieso keinen Sinn hat.
Um die Bedeutsamkeit von irgendetwas zu beweisen, gehen die Jugendlichen immer weiter. Die Kiste mit Teddybär und Familienfotos ist nur der Anfang eines bösen Spiels, bei dem alle gnadenlos die persönlichen Schwachstellen der anderen benutzen. Immer mehr müssen sie hergeben für den wachsenden „Berg der Bedeutung“. Jede zunächst noch wie eine pubertäre Mutprobe wirkende Aktion und alle folgenden schmerzhaften Opfer fordern immer brutaler werdende Rache. Unter dem Gruppenzwang zerbrechen die Grenzen. „Man darf alles“, lautet die Devise. Ein auf dem Friedhof ausgegrabener Kindersarg landet ebenso auf dem Stapel wie der Gebetsteppich des muslimischen Jungen. Der fromme christliche Junge muss den gekreuzigten Jesus aus der Kirche entführen, ein Mädchen seine Jungfräulichkeit verlieren, ein braver Hund seinen Kopf und der begabte Gitarrist einen Finger.
Womit das heimliche Unwesen zwar auffliegt, aber eine unheimliche Wendung nimmt. Der „Berg der Bedeutung“ wird von den internationalen Medien entdeckt und zum „dämonischen“ Kunstwerk deklariert. Der ganze kleine Ort genießt seine plötzliche Prominenz. Ein Museum macht ein unwiderstehliches Kaufangebot.
Zu Geld soll also alles gemacht werden, was den Jugendlichen angeblich so viel wert war. Pierre Anthon tritt den Beweis an, dass es ihnen in Wahrheit nichts bedeutete und bezahlt dafür mit seinem Leben.
Die blutige Gewalt wird in der Inszenierung nicht gezeigt, bohrt sich aber in die Köpfe der Zuschauer. Eine Moral wird nicht angeboten, die Taten bleiben ungesühnt. Ganz ohne Reue öffnet die erwachsene Agnes eine kleine Schachtel, aus der Asche rieselt. Mehr ist nicht geblieben von den Ereignissen. Ungeheuer viel zum Nachdenken ist freilich geblieben nach pausenlosen, hoch spannenden ca. 80 Minuten. Leider können wir hier nicht alle jungen Darstellerinnen und Darsteller nennen, die zumeist in mehreren Rollen so überzeugen, dass das Stück wirklich unter die Haut geht.
Die Angst vor dem „Nichts“ ist eine menschliche Grundsituation. Jede Antwort auf die Frage nach der Bedeutung wäre vermessen. Die Frage nach den persönlichen und gesellschaftlichen Werten stellt die Aufführung so eindrucksvoll, dass nach den begeistert aufgenommen Premieren (es gibt wie im JTB üblich bei den jugendlichen Rollen zwei verschiedene Besetzungen) noch lange dis­kutiert wurde. Besser als mit dieser hervorragenden Aufführung kann man die Notwendigkeit des Theaters als öffentlichem Denk-Ort kaum beweisen.

Spieldauer ca. 80 Minuten, keine Pause
Weitere Termine:
31.01. / 1.02. / 14.03. / 15.03.13
Geeignet für Publikum ab 13 Jahren, ausdrücklich nicht für Kinder.

Donnerstag, 12.09.2013

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