Der Revisor - kultur 93 - Februar 2013

Der Revisor von Nicolai Gogol in den Kammerspielen: Groteske Provinzposse

Eine sehr unangenehme Nachricht mischt die Oberen der russischen Kleinstadt auf: Ein Revisor soll inkognito ihre Amtsführung kontrollieren. Was Nikolai Gogol in der 1836 uraufgeführten ersten russischen Gesellschaftskomödie beschrieb, könnte auch heute noch manche Kommunalverwaltungen in Aufregung versetzen. Die Inszenierung von Frank Hoffmann, mit der 2012 die Ruhrfestspiele Recklinghausen eröffnet wurden, setzt freilich nicht auf naheliegende Aktualisierungen, sondern auf die spielerische Groteske.
Kalt und düster ist es im winterlichen Russland. Warm anziehen müssen sich die Würdenträger, deren verschlissene Pelzmäntel und -mützen schon bessere Zeiten gesehen zu haben scheinen. Viele Rubel-Scheine passen aber immer noch in die Taschen. Man zahlt bar, wenn man politische oder gerichtliche Entscheidungen auf den rechten Weg bringen möchte. In einer Art Käfig (Bühne: Christoph Rasche) fährt der merkwürdige Fremde herein, den alle für den mächtigen Herrn aus St. Petersburg halten, obwohl – bei Lichte besehen – wirklich nichts dafür spricht. Er zahlt seine Rechnungen im Gasthof nicht, nimmt alles, was man ihm anbietet, und ist geistig ziemlich genau auf dem Stand seiner neuen Freunde. Eben deshalb muss er der mächtige Beamte sein, um den die Provinznest-Machthaber einen verrück­ten Eiertanz veranstalten.
Der 1959 in Sibirien geborene Film- und Theaterschauspieler Jewgenij Sitochin spielt ungemein beweglich den geschwätzigen, moralfreien kleinen Hochstapler Chlestakow, der bedenkenlos seine neue Rolle als Revisor genießt. Er wird zum größenwahnsinnigen Clown, tänzelt über Abgründe und verschwindet gerade noch rechtzeitig, bevor sein falsches Spiel auffliegt. Sitochin ist einfach brillant, während der zweite Star im Ensemble eher glanzlos bleibt. Bernd Michael Lade (TV-Zuschauern vor allem aus diversen „Tatorten“ bekannt) spielt den korrupten Stadthauptmann, der mit seinem Gehstock herumfuchtelt und dem vermeintlichen Revisor glatt ein Zimmer in seinem mit Blümchentapeten ausgestatteten Haus einräumt. Chlestakow nutzt die Gelegenheit und schnappt sich gleich das naive Töchterchen und die reizende Gattin. Tatjana Pasztor spielt die aufgetakelte Provinz-Schönheit mit schlichtem Hang zur feinen Gesellschaft einfach köstlich.
Rolf Mautz (ebenfalls aus dem Bonner Schauspiel-Ensemble) gibt den braven Richter mit Hang zu Halbbildungs-Floskeln und eigenwilligen Rechtsbegriffen. Was der Kurator der Armen- und Krankenanstalten unter „genesen“ versteht, wird am Schluss noch einmal sinnfällig. Die beiden schmierigen kleinen Gutbesitzer-Zwillinge Bobcinskij und Dobcinskij dürfen dran glauben. Der eine muss sich zu Tode tanzen, der andere wird vom Stadthauptmann abgeknallt.
Schmiergeld und Wodka fließen reichlich in dem pausenlosen zweistündigen Kreislauf der Ängste, Eitelkeiten und Vorteilsnahmen. Es ist ein absurdes Theater, das durch die extrem künstliche skurrile Spielweise besticht. Es sind die brüchigen Fassaden, die das Gefüge der Gesellschaft noch stabilisieren. Alle Figuren sind lächerlich und deshalb so unheimlich, dass man den Bezug zur gegenwärtigen Dauerkrise kaum noch ausstellen muss. Ein ‚echter‘ Revisor wird kommen; man darf sich weiter fürchten vor der Wahrheit.
Restlos ausverkauft waren jedenfalls die beiden Abende, an denen die Koproduktion der Ruhrfestspiele mit dem Théâtre National du Luxembourg (beide geleitet von Frank Hoffmann) und dem Theater Bonn in den Kammerspielen zu Gast war. Der weltläufige Luxemburger Hoffmann, der in der Ära Beilharz oft in Bonn als Regisseur arbeitete, hat es nach dem Castorf-Tief in kurzer Zeit geschafft, in ­Reck­linghausen mit publikumsfreundlichem Theater wieder viele Menschen zu begeistern. Sein Revisor macht es vor und erhielt auch in Bonn den verdienten Applaus. E.E.-K.

Nicht mehr auf dem Spielplan.

Donnerstag, 12.09.2013

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