Die Physiker - kultur 90 - November 2012

Die Physiker von Friedrich Dürrenmatt im Kleinen Theater: Bitterböse Parabel

Den lukrativen kalten Krieg um die heißen Brüter gewinnt unvermeidlich die scharf kalkulierende Dame, während ihre verrückten Universumsträumer höchst amüsant auf Hexenküchenknopfdruck Cordon bleu und noblen Burgunder aus quietschbunten Molekülplastikgläschen naschen. „Eine Geschichte ist erst dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat“, erklärt Friedrich Dürrenmatt in seinen „21 Punkten zu den Physikern“. Die junge Regisseurin Stephanie Jänsch lässt die paradoxen Thesen des Autors als Endlosschleife vom Band laufen, bevor das böse Spiel beginnt.
Eine Leiche gilt es zu entfernen aus dem Salon des privaten Sanatoriums „Les Cerisiers“, wo die „geistig verwirrte Elite des halben Abendlandes“ relativ komfortabel auf Heilung wartet. Im separaten alten Villentrakt z.B. hausen die berühmten Physiker Newton, Einstein und Möbius. Eine hübsche Mischung aus leicht verlotterter Eleganz und vergitterter Sperrzone ist die Klinik (transparentes Bühnenbild: Frank Joseph), in der die drei pflegeleichten Patienten einen leider ziemlich mörderischen Umgang mit den Krankenschwestern pflegen. Weshalb Kriminalinspektor Voß (als leicht enervierter tapferer Gesetzeshüter: Rainer Hannemann) schon mal zur streng verbotenen Zigarette greift, während der schuldunfähige Forscher Ernes­ti alias Einstein sich beim Geigenspiel von der Tat erholt.
Auf dem Klavier begleitet von Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd, der mächtigen Klinikchefin und weltbekannt als Kapazität auf dem Gebiet der Psychiatrie. Susanne Tremper gibt dieser merkwürdigen Figur nichts Dämonisches. Sie ist die jungfräuliche Nachfahrin eines famosen Geschlechts, schmückt ihre Klinik mit wechselnden Bildern der adeligen Vorväter und behandelt ihre Irren mit ausgesuchter Sensibilität. Sie gibt sich tatsächlich gerührt angesichts des unnatürlichen Todes ihrer Lieblingsschwester und trägt knallrote männliche Hosen unterm Arztkittel (Kostüme: Kara Schutte), wenn sie ihren endgültigen Triumph verkündet. Sie spielt keine durchgeknallte alte Verrückte, sondern eine alterslose Frau, die die Logik der Geschichte begriffen hat.
An seiner eigenen Logik scheitert der Physiker Möbius, der sich nicht hinter einem berühmten Namen versteckt, sondern nur den angeblichen Erscheinungen des weisen biblischen Königs Salomo gehorcht. Matthias Schuppli spielt einen fast schon heiligen Moral-Narren, der bei seiner bitteren Psalmenparodie buchstäblich nach dem Himmel greift und ins Bodenlose fällt. Der missionarische Eifer seiner einstigen Gattin (Juliane Ledwoch) und die heftige Liebeswerbung seiner jungen Pflegerin (sehr schön zwischen professioneller Strenge und hilfloser Erotik: Monika Sobetzko) müssen dran glauben. Zu den Waffen greifen der Physiker Ernesti, der weder dieser noch sein Irrenhaus-Fantom Einstein ist (herrlich komisch: Fritz Peter Schmidle) und sein Kollege Beutler (brillant: Lorenz Schirren), der unter Cognac-Einfluss insgeheim gern zugibt, dass er den Newton mit Rokokoperücke nur spielt, um Einsteins Identität nicht zu irritieren.
Die beiden Herren dienen völlig nüchtern unterschiedlichen politischen Systemen und sind im Auftrag ihrer Regierungen Möbius’ vorsorglich verbrannter Weltformel auf der Spur. Sie glauben an den Nutzen des naturwissenschaftlichen Fortschritts und sind deshalb groteske Illusionisten. Denn die Erkenntnisse sind zwar verwertbar, aber längst einer wahnsinnig gewordenen ökonomischen Rationalität unterworfen, die sich um menschliche Werte nicht mehr schert.
„Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer trifft sie der Zufall“, heißt es bei Dürrenmatt. Der Zufall ist die treibende Kraft der Komödie und wird hier in zwei kurzweiligen Stunden bitter ironisch weitergedacht. Der unaufhaltsame Fortschritt des Wissens ist nicht die Lösung, sondern das Problem. Die Physiker hängen in der Möbiusschleife fest und müssen entgeistert im Irrenhaus bleiben. Um die gespenstische Aktualität des vor 50 Jahren uraufgeführten Schauspiels zu erkennen, braucht man keinen Regie-Nachhilfeunterricht. Im Kleinen Theater ist eine genau inszenierte, heiter-hoffnungslose Groteske zu besichtigen und kein Störfall. Das reichte nicht nur für überzeugten Premierenbeifall. Der Ansturm auf die Karten (insbesondere von Schulklassen) war so groß, dass außerplanmäßig noch Zusatzvorstellungen angesetzt werden muss­ten. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 Stunden, inkl. einer Pause
Die nächsten Termine:
Wegen der großen Nachfrage verlängert
bis 30.10.12

Dienstag, 12.02.2013

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