Leonce und Lena (Theater Marabu) - kultur 89 - Oktober 2012

Leonce und Lena von Georg Büchner im Theater Marabu: Junger Büchner

Ab und zu platzt ein Luftballon wie die romantischen Illusionen und Ideale, mit denen Georg Büchners 1836 verfasste, erst 1895 uraufgeführte einzige Komödie Leonce und Lena ein bitter ironisches Spiel treibt. Der Autor starb 1837 mit 23 Jahren. Ungefähr im Alter des Dichters sind auch die neun Mitglieder des Jungen Ensembles Marabu, das sich nach einem höchst erfolgreichen Woyzeck erneut für ein Büchner-Drama entschieden hat. Unter der professionellen künstlerischen Leitung von Tina Jücker und Claus Overkamp ist ihnen dabei ein echtes Meis­terstück gelungen.
Selten erlebt man das Schwere im Leichten mit solch luftiger Spiel-Energie. Selten wird die melancholische Lebens- und Liebesmüdigkeit der einsamen Königskinder, die trotzig aus der verrotteten Hofgesellschaft und vor der ihnen zugedachten Verbindung fliehen, um sich geradeswegs in die Arme zu laufen, mit so viel poetischem Witz präsentiert.
Sie sprechen Büchners hinterhältig paradoxe Sentenzen mit ganz heutigem Lebensgefühl. Sie sind hellwache Träumer voller Sehnsucht nach dem wirklichen Leben. Übersättigt vom Überfluss der Angebote und hungrig auf einen Sinn ihres Daseins. „Ich sitze wie unter einer Luftpumpe“, sagt Prinz Leonce und ist dabei vor lauter Langeweile dem Ersticken nah. Spöttisch spielt er mit der sterbenden Liebe zu Rosetta, die verzweifelt zu Beethovens Trauermusik auf der Spitze ihre Pirouetten dreht. „Mein Kopf ist ein leerer Tanzsaal, die letzten Tänzer haben ihre Masken abgenommen und sehen mit todmüden Augen einander an.“
Leichenweiß geschminkt sind alle, die da von Regina Rösing kunterbunt kostümiert wie Puppen durch ein aufgeblasenes Minikönigreich stolzieren. Es ist ein Meer von 1.250 weißen und rosa Luftballons, aus denen die Bühnenpodeste und Stege wie Inseln herausragen. Der König kann sich nur mühsam an sein Volk erinnern und verheiratet seinen Sohn notfalls auch in Abwesenheit. Nach allen Regeln eines grotesken Protokolls. Leonce und Lena freilich schlagen der Verdinglichung aller Subjekte ein Schnippchen, indem sie die Maskerade ad absurdum führen und sich dadurch gegenseitig erkennen.
Es gibt in den legendären Staaten Popo und Pipi nichts mehr, wofür oder wogegen man kämpfen könnte. Nur luftige Leere und selige Gleichgültigkeit. Folglich gibt’s nur einen Ausweg: Die nicht ganz freiwillige Flucht ins künstliche Paradies! Umso schöner, wenn dieses sich als pures Theaterparadies entpuppt. Die musikalische Unterstützung mit Gesangs­training und pfiffigen Arrangements hat Guido Preuss geliefert. Fetzige Rhythmen mischen sich mit Klassik; Büchners Text lässt sich locker rappen, bleibt aber immer perfekt verständlich.
Dass schweißtreibende Arbeit als gesellschaftlich gefährlich polizeilich verboten wird, hofft augenzwinkernd Diener Valerio. Ein Jahr lang hart gearbeitet hat das ganze Ensemble zweifellos, um die überwältigende Leichtigkeit einer Schwermut zu erreichen, die niemanden kalt lässt. Begeisterter Beifall für eine fabelhafte Leistung! E.E.-K.
Spieldauer ca. 70 Minuten, keine Pause
Die nächsten Termine: 26.10.12 / 27.10.12 / 15.11.12 /16.11.12
Für Zuschauer ab 14 Jahren.

Dienstag, 14.01.2014

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