Das Ende der Schonzeit - kultur 79 - Oktober 2011

Philip Simon im Pantheon: Das Ende der Schonzeit

Der Niederländer Philip Simon (*1976) ist einer der beiden Träger des Prix-Pantheon-Jury-Preises 2011. Nun war er mit seinem zweiten Soloprogramm im Pantheon zu Gast.
Wie auch beim Prix Pantheon tritt er zunächst in eine Zwangsjacke eingeschnürt auf, aus der er sich schließlich in einer Art Heavy-Metal-Strip befreit. Die Botschaft dabei: „Es kann gar nicht genug Verrückte geben! Das Leben ist einfacher, wenn die Welt denkt, Du bist bekloppt.” Dieser Einstieg begeistert das Publikum, und doch bleibt zunächst Befremden. Doch dies ist bald verziehen, denn Simons Programm gewinnt kontinuierlich an Präzision, zeugt von bester Beobachtungsgabe gefolgt von konventionsunabhängiger Gedankenfreiheit und tiefgründigen Pointen.
Simon lebt in Berlin und der niederländischen Insel Texel und ist hinsichtlich seiner Kenntnisse der deutschen Politkszene allerbestens integriert. Der starke niederländische Akzent und das jungenhafte Auftreten (T-Shirt, lebenserfahrene Bluejeans, Chucks) lenken zunächst etwas ab von seinem enormen Wortschatz und ins Schwarze treffenden Wortkonstruktionen. Spätestens wenn er seine phantasievollen Assoziationen, teils unter Ganzkörpereinsatz, zum Ausdruck bringt, wird deutlich, dass hier jemand einen persönlichen, undistanzierten, facettenreich überraschenden Stil entwickelt hat, zwischen Härte und Sentimentalität, Freude sowohl an der unverblümten Mainstream-Pointe als auch an der tiefgehenden.
Simons Programm ist aus drei thematischen Strängen geflochten: Politik, Skurrilitäten des Alltags und persönlichen Weltbetrachtungen.
Klarsichtig entlarvt er die Personaldebatten der Politikszene als symbolische Politik: Jeder könne irgendwie mitreden, die Medienkanäle würden zu einem gewissen Maß verstopft, sodass schwerwiegendere Probleme erst später und abgemildert ihren Weg in die Öffentlichkeit fänden.
Auf fragwürdige Ehrungen fällt ein freier Geist wie Philip Simon nicht herein: „Den Friedensnobelpreis für Barack Obama, der 30.000 Amerikaner nach Afghanistan geschickt hat? Das ist wie die Verleihung eines Architekturpreises an die Attentäter vom 11. September!”
Die Angst als „schönen Motivator, nicht nachzudenken” stellt er ebenso klar heraus: Schweinegrippe, EHEC – war da was? Es gebe mehr Experten als Verstand.
Simons Botschaft ans Publikum ist nicht ein Aufruf zur Abkehr von der „Verblödungsmaschinerie” des Fernsehens mit all ihren Ausprägungen bis hin zur „medialen Exekution von Leuten, die keine Ahnung haben, was mit ihnen passiert”.
So könne auch der Blick auf die Skurrilitäten des Alltags wieder frei werden: Wunderbar drastisch demonstriert Simon, im Kreis laufend, einen kleinen Satelliten, der sich mit all seiner Energie der Nachrichtenübermittlung widmet und an der Struktur seiner Warenpäck­chen („ich bin jetzt gleich da-ha...”) verzweifelt – nur getoppt von den meisten Botschaften auf Facebook, dem „Tagebuch für expressive Autisten”.
Simons Schlüssel zu einer besseren Welt ist ganz anachronistisch: „Einfach nur miteinander reden”, „seinen Nächsten lieben wie sich selbst”, „Gott braucht nicht uns, sondern wir brauchen Gott – um uns selbst nicht zu vergessen.” Und: „Manchmal ist es besser, wenn man etwas nicht versteht.” Nein, das ist keine Aufforderung zum Schuleschwänzen, sondern steht für die Bereitschaft, kleinen Wundern ihren Lebensraum zu erhalten.
Am 29. April 2012 wird Philip Simon wieder im Pantheon zu Gast sein. J.S.

Samstag, 04.02.2012

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