Der Besuch der alten Dame - kultur 79 - Oktober 2011

Der Besuch der alten Dame von Friedrich Dürrenmatt im Kleinen Theater: Todernster Humor

Diese milliardenschwere Dame hat echtes Weltformat. Schon bei ihrem ­ers­ten Auftritt, ganz in Schwarz, behängt mit Pelz und Brillanten (raffinierte Kostüme: Kara Schutte), auf dem heruntergekommenen Bahnhof des Schweizer Städtchens Güllen, scheint ein kalter Schauer über die Bühne zu wehen. Mit lässiger Grandezza und eisigem Spott fertigt sie alle Huldigungen ab. Mit der Grazie ihres messerscharfen Verstandes und ihrer von ärztlichen Skalpellen erzeugten unwiderstehlichen Erscheinung lässt sie die kleinbürgerlichen Figuren zappeln im Schuldennetz, das sie längst heimlich über dem ganzen Ort ausgebreitet hat. Sie zelebriert mit kühler Eleganz ihre feingeschliffenen sprachlichen ­Poin­ten, setzt diamantharte Akzente in Dürrenmatts durchsichtig bösem Motivgeflecht und kann rücksichtslos amüsiert warten, bis ihr Plan aufgeht. Sie ist zum Fürchten perfekt, weil sie die Furcht beherrscht und mit ihrem Geld alle Werte kaufen kann. Menschlichkeit und Gerechtigkeit gehören zum Niveau schlichter Börsenhaie: „Mit meiner Finanzkraft leistet man sich eine Weltordnung.“
Dagmar von Kurmin, die in der Titelrolle von Friedrich Dürrenmatts Der Besuch der alten Dame auch ihre vor dreißig Jahren begonnene Zusammenarbeit mit dem Kleinen Theater Bad Godesberg feiert, spielt die Claire Zachanassian absolut grandios. Mit einem todernsten Witz will diese, in die Klasse der ‚Rich and Beautiful’ aufgestiegene alte Dame, die als arme Klara Wäscher in Güllen zur Welt kam, sich rächen an dem Unrecht, das ihr einst angetan wurde. Ihr Kalkül ist todsicher, weil sie die Mechanismen der Wirtschaft ebenso genau durchschaut hat wie die Verlogenheit der Gesellschaft. Ganz zart lässt von Kurmin trotz aller herzlosen Unnahbarkeit dennoch die Verletzlichkeit einer Frau aufscheinen, die durch den Verrat an ihrer ersten großen Liebe zur Hure wurde und danach die Männer benutzte, bis sie Reichtum und Moral so kurzschließen konnte, dass sie quasi aus der Portokasse ihrer Vermögensverwalter ihrem ökonomisch ruinierten Heimatort Güllen ein ehrliches Geschäft anbietet: „Konjunktur für eine Leiche.“ Also eine Milliarde für die Ermordung ihres ehemaligen Geliebten Alfred Ill, der sie hochschwanger sitzen ließ und durch gekaufte Zeugen den Vaterschaftsprozess gewann: 50% für die darbende städtische Kasse, 50% verteilt auf die privaten Konten der Bürgerinnen und Bürger.
In der straffen Inszenierung von Hans Thoenies (flott verwandelbare Bühne: Charles Copenhaver) ist die alte Dame zwar grotesk mons­trös, aber die Verführungsmacht ihres realen Geldes wird unüberwindbar. In Erwartung des großen Aufschwungs laufen bald alle mit neuen gelben Schuhen herum und lassen ihre opulenten Einkäufe anschreiben beim braven kleinen Krämer Ill (psychologisch differenziert: Georg Troeger), der für seine moralische Schuld nun mit den Konsumschulden seiner selbstverständlich nur auf seine Rettung bedachten Mitbürger büßen muss. Angesichts der möglichen Sanierung des kommunalen Haushalts knicken nach und nach alle Stützen der Gesellschaft ein: der tüchtige konservative Bürgermeister (Karl-Heinz Dickmann), der humanis­tisch gebildete, versoffene Lehrer (Matthias Kiel), der tapfer unter der Bürde seines Messgewands schwitzende Pfarrer (Heiko Haynert), der arbeitslose Hofbauer (Stefan Krause) und der robusten Maßnahmen nicht ganz abholde Polizist (Jürgen Clemens). Selbst Ills treue Gattin (Regina Schrott) hat fürs Management des zukünftigen Supermarkts schon mal einen Laptop auf Pump besorgt.
Solide bezahlt hat die Lady den Richter (Rainer Hannemann), der ihr vor Jahrzehnten ‚unbestechlich’ den Prozess machte und nun als persönlicher Butler dient. Als stummen Leibwächter in Mafia-Nadelstreifen hat sie einen Typen von Schrankformat (Fred Schladen) engagiert. Dass sie lukrative Scheidungen schon vor den üblichen Hochzeiten (sehr berührend: ihr Auftritt als zerbrechliche alte Starbraut ganz in Weiß in der schmutzigen Scheune, wo ihr Liebesleben begann und jäh in Lieblosigkeit umschlug) ihren Anwälten überlässt, gehört zu ihrem bissigen Humor.
Dass der politisch der Opposition zugeneigte, blondmähnige Arzt (Markus Exner) nach einem demokratischen Bürgervotum Ills „Herzversagen“ konstatiert, war von Anfang an zu vermuten. Aktualisieren muss man in Dürrenmatts bitterer Farce ohnehin nichts, bevor die erbarmungslose alte Dame den vorsorglich mitgebrachten Sarg als Trophäe der erbärmlichen Reste einer käuflichen Zivilisation zu sanften Pianoklängen nach Capri verschifft. Großartig und dringend sehenswert! E.E.-K.
******
Spieldauer ca. 2¼ Stunden inkl. einer Pause.
Im Programm bis 16.10.2011 täglich außer montags

Samstag, 04.02.2012

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 16.04.2024 21:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn