Die Stühle - kultur 79 - Oktober 2011

Die Stühle von Eugen Ionesco im Euro Theater Central: Absurdes Schattendasein

Die beiden scheinen lange nicht gesprochen zu haben. Die Frau (Heike Bänsch) stammelt und gurgelt ihre ersten Worte mühsam heraus, bevor der Mann (Bruno Tendera) langsam aus seiner Totenstarre erwacht. Mit ihren engen Kappen und Kinnbinden, wie man sie gerade Gestorbenen anlegt, sehen sie aus wie eben noch dem Sarg entflohen. Sie nähert sich ihm, animiert ihn mit rabiater Zärtlichkeit zum Mitspielen beim Ritual der imaginierten Möglichkeiten.
Selbst die Stühle gibt es nicht in dem leeren schwarzen Raum, in dem Regisseur Peter Tömöry Ionescos 1952 uraufgeführte Farce „Die Stühle“ angesiedelt hat. Er überlässt sie ebenso der Fantasie der Zuschauer wie die einsame Insel, auf der das seit 75 Jahren verheiratete uralte Paar eine feine Gesellschaft erwartet, um endlich die große weltbewegende Botschaft zu verkünden. Tömöry hat den Text dieses Schlüsselwerks des absurden Theaters massiv reduziert und setzt ganz auf die zur grotesken Illusion verkommene Welt, in der die beiden Alten spielen, was ihnen das Leben vorenthalten hat. Seine Inszenierung kam bereits Anfang 2000 am Euro Theater heraus und wurde nun zum Saisonbeginn mit derselben Besetzung wie damals wieder aufgenommen.
Es gibt nur die Bühnenrealität in diesem verzweifelten Spiel mit den Illusionen und Verblendungen. Die Frau insistiert: Viel hätte der Mann werden können und ist als „Hausmarschall“ nur Herrscher über Besen und Eimer. Doch dann werfen sie ihre grauen Mäntel ab, setzen sich Perücken auf und Sonnenbrillen gegen den plötzlichen Glanz in ihrer Hütte. Er trägt zu seinen Filzpantoffeln einen eleganten Smoking, der wohl ebenso bessere Zeiten gesehen hat wie ihr rotes Abendkleid. Sie machen charmanten Small-Talk mit den illustren Gästen aus einer längst vergangenen Zeit und knien schließlich nieder vor dem Kaiser, der ihnen höchstpersönlich die Ehre gegeben hat. Der bestellte Redner (bei Ionesco ist er logischerweise ohnehin stumm) taucht freilich nicht auf. Der Alte selbst übernimmt dessen Part, öffnet den Mund quälend lang und wortlos: Die Botschaft ist leer wie die düstere Bühnenhöhle, auf der die beiden Figuren oft als Schatten an den Wänden reflektiert werden. Sie leben ihr Schattendasein als gespenstisch realen Traum von der Wirklichkeit, bevor sie am Ende zurückkehren auf ihre Anfangsposition zwischen Tod und scheintot. Sie haben Theater gemacht, weil nur der Schein sie einen Moment lang von ihrer Unscheinbarkeit erlösen konnte.
Heike Bänsch und Bruno Tendera (auch im wirklichen Leben ein Paar) spielen ihre Rollen ungemein präsent. Manchmal bewegen sie sich wie von unsichtbaren Fäden gezogene Puppen, die ohne Bewusstsein der Unzulänglichkeit rationaler Welterkenntnis näher kommen als alle Dis­kurse über die Sinnhaftigkeit des Daseins. Es ist radikal antipsychologisches Theater mit einem kalten Hauch von makabrer Komik. E.E.-K.


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Spieldauer ca. 70 Min. Es gibt keine Pause.

Es gibt außerdem eine englische Version, die schon Ende 1999 bei einem internationalen Festival im pakistanischen Lahore herauskam. „The Chairs“ hat am 15./16. Oktober 2011 im Euro Theater Central Premiere.

Samstag, 04.02.2012

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