La Sonnambula - kultur 79 - Oktober 2011

La Sonnambula von Vincenzo Bellini in der Oper
Schlaf der Vernunft

Ein Dorf steht buchstäblich Kopf. Vor ein weites Gebirgspanorama hat Bühnenbildner Frank Fellmann eine Miniaturausgabe des Schweizer Dörfchens gestellt, in dem Vincenzo Bellini seine 1891 uraufgeführte Oper La Sonnambula (Die Schlafwandlerin) angesiedelt hat. Später hebt sich die große Scheibe mit dem Dorfmodell und zeigt in der Untersicht ein nächtliches Spiegelbild des Ortes. Regisseur Roland Schwab untersucht die Ambivalenz der Gefühle quasi mikroskopisch und präsentiert unter der idyllischen Oberfläche eine Innensicht auf die Figuren, die zwischen Gespensterglauben und Aufklärung in eine Traumwelt flüchten.
Einen Albtraum durchlebt das schöne Waisenmädchen Amina, das mit schlafwandlerischer Sicherheit ins Unglück stürzt und schließlich doch an der Seite ihres Bräutigams ins wache Leben zurückkehrt. Elvino, brillant gesungen von dem belgischen Tenor Marc Lobo, ist eine gute Partie, aber nicht sonderlich charakterfest. Die unter großem Jubel der Dorfgesellschaft vorbereitete Hochzeit mit Amina sagt er wegen deren vermeintlicher Untreue kurzerhand ab und gibt stattdessen gleich seine Vermählung mit der Wirtin Lisa bekannt, die ein Auge auf ihn geworfen hat. Freilich auch den seltsamen Fremden Rodolfo nicht verschmähen würde, in dem sie schnell den jahrelang verschollenen Sohn des verstorbenen Grafen und Lehnsherrn des Dorfes erkannt hat. Rodolfo, großartig verkörpert von dem Bass Martin Tzonev, hat aus den fernen Städten die Aufklärung mitgebracht. Mit moderner Technik in Gestalt einer Camera Obscura und eines bedrohlich aussehenden Phonographen will er den ‚Hinterwäldlern’ ihren Gespens­terglauben austreiben. Alle, selbst Amina, haben das nächtliche Ungeheuer gesehen, das im Dorf Angst und Schrecken verbreitet. Rodolfos wissenschaftliche Erklärung des Somnambulismus stößt trotz all seiner Autorität auf Unglauben.
Zumal die schlafende Amina bei ihrer nächtlichen Wanderung genau in Rodolfos Bett landet und plötzlich von der strahlenden Braut zur von allen verstoßenen Außenseiterin wird. Die russische Sopranistin Julia Novikova, längst ein gefeierter Star am internationalen Opernhimmel, sang die Rolle in den Vorstellungen vor der Sommerpause ungemein berührend. Hinter ihren makellos virtuosen Belcanto-Passagen lauern seelische Abgründe. Jeder Ton ihres mit unglaublicher Leichtigkeit zelebrierten hoch artifiziellen lyrischen Gesangs offenbart ihre seelische Verletzlichkeit. Amina weiß nicht, was mit ihr geschehen ist, wenn sie von den Menschen, die ihr eben noch huldigten, gewaltsam in die Enge getrieben wird und ihr Hochzeitskleid der Konkurrentin überlassen muss. Die weißen Sonnenschirme der Damen werden zu spitzen Waffen (wunderbare historische Kostüme: Renée Listendal), die Herren kreisen das hilflose Mädchen mit Latten ein.
Die junge Bulgarin Emiliya Ivanova verkörpert mit leuchtender Sopranstimme die raffinierte Lisa, die hier wie die unbewusste Schattenseite der naiven Amina erscheint. In den kommenden Vorstellungen wird sie die Hauptrolle übernehmen, was sicher ein Glücksfall ist. Stimmlich und darstellerisch hat sie alles für diese extrem anspruchsvolle Partie. Sehr fein gestaltet Sven Bakin die Rolle des chancenlos in Lisa verknallten Alessio, der am Ende doch noch zum Ziel kommt. Mit Hilfe der unerschütterlich an die Unschuld ihrer Ziehtochter glaubenden Müllerin Teresa (eindrucksvoll gesungen und gespielt von Susanne Blattert), wird Amina am Ende den sicheren Hafen der Ehe erreichen. Im Tiefschlaf balanciert sie halsbrecherisch über die riesigen Mühlräder im Hintergrund. Sie ist wirklich somnambul und entzaubert damit den ganzen Geisterspuk. „Wertvoller, schöner bist du uns durch dein Leid!“, singt der wie immer spielerisch und sängerisch hervorragende Chor unter der Leitung von Sibylle Wagner. Das klingt hier leicht zynisch, denn die Bräute, die die Regie als Spiegelfiguren Aminas auftauchen lässt, liegen wie gerädert auf den sich ewig drehenden Mahlgeräten. Die aus dem Schnürboden schwebenden alten Hochzeitsfotos verheißen auch nichts Gutes. Niemand sieht auf diesen Bildern glücklich aus. Romantische Liebe bleibt eine vage Sehnsucht in dieser Inszenierung, die mit intellektueller Tiefenschärfe die etwas flache Geschichte psychologisch präzis unterfüttert.
Solide spielte das Beethovenorchester Bonn unter der Leitung des ­Ers­ten Kapellmeisters Robin Engelen. Bei der Wiederaufnahme am 16.Oktober mit Christopher Sprenger am Pult dürfte da noch mehr instrumentaler Glanz aus dem Graben klingen. Den Aufklärer Roberto singt dann das Ensemblemitglied Ramaz Chikviladze. Die Lisa übernimmt die junge Sopranistin Vardeni Davidian.
Die Begeisterung des Publikums für die absolut gelungene, vielschichtige Aufführung wird bleiben. Es ist bildkräftiges, in sich stimmiges und sehr sinnliches Musiktheater auf Spitzenniveau. E.E.-K.

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Spieldauer ca. 3 Stunden inkl. einer Pause.
Im Programm bis 3.12.2011
Die weiteren Termine:
16.10.11 // 21.10.11 // 29.10.11 // 24.11.11 // 03.12.11

Samstag, 04.02.2012

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