Das Hohelied - kultur 77 - Juni 2011

Poetische Bühnenallegorie: Das Hohelied im Theater Die Pathologie

Sind die beiden Akteure vertraute „Lieblingskinder der Natur“ oder pure Kunstfiguren in einem selbst erdichteten Albtraum? Reden sie, um zu überleben oder haben sie alle realen Lebensmöglichkeiten längst aufgegeben? Die Schauspielerin Clare und ihr Bruder Felice sind von ihrer Truppe für geisteskrank erklärt und verlassen worden. Aber die beiden halten an der Unmöglichkeit des Notwendigen fest und deklarieren sie zur Notwendigkeit des Unmöglichen. Sie spielen ein düsteres Stück vom gewaltsamen Tod der Eltern und von der Angst, die gewaltig wie die Nacht ist. So wie die Liebe stärker ist als der Tod. So steht es in dem alttestamentarischen Liebesdialog zwischen Salomo und Sulamith Das Hohe Lied, einer der frühesten erotischen Dichtungen der Weltliteratur. Es geht in dem bildkräftigen biblischen Text um die sinnliche Anziehung zwischen den Geschlechtern, um die unschuldige sinnliche Lust an sexueller Erfüllung jenseits aller Erbschuld und aller theologisch allegorischen Transzendierung in die Sphäre göttlicher Reinheit.
Ein dunkles Geheimnis tragen die beiden Figuren in Tennessee Williams’ spätem Drama The Outcry mit sich herum, wenn sie in lichten Momenten Passagen aus der poetischen Frühzeit in ihre triste Gegenwart zitieren. Maren Pfeiffer, Intendantin des Theaters die Pathologie, spielt in ihrer Inszenierung Das Hohelied mit Motiven von Williams’ vielschichtigem Stück, das auch eine Theatermetapher ist.
Johannes K. Prill und Karin Krömer bewegen sich auf der kleinen Bühne in einem präzisen Schwebezustand zwischen Schein und Sein, verzweifeltem Pathos und bissiger Lakonie. Proben sie einstudierte Rollen in einem Bühnenkrimi vor imaginärem Publikum? Hat ihr geschwis­terliches Begehren die verbotenen Grenzen zwischen Kunst und Leben überschritten? Welchen natürlichen oder gewaltsamen Todes starben ihre Eltern? Die vielen Rätsel löst auch die kleine Pistole nicht, die Clare am Ende in der Hand hält.
Maren Pfeiffers raffinierte Regie konzentriert sich auf die sprachlichen Zwischenräume in Williams’ dramatischem Konstrukt und öffnet dessen Vergänglichkeits-Metaphern für die Doppelbödigkeit alles Gesagten und den Subtext der existenziellen Grundangst. Unbedingt empfehlenswert für neugierige erwachsene Theater-Liebhaber. Bibelfestigkeit ist nicht nötig, nur Offenheit für unlösbare Fragen. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 70 Min., keine Pause
Im Programm bis: ????

Donnerstag, 19.01.2012

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