Die toten Augen von London - kultur 102 - Januar 2014

Die toten Augen von London im Kleinen Theater Bad Godesberg: Thriller im Blindenheim

Es ist ein ‚echter Wallace‘: hübsch gruselig mit einer ordentlichen Portion britischen Humors. Vor ungefähr einem halben Jahrhundert lösten mehrere Verfilmungen der Werke des englischen Krimi-Autors in Deutschland einen regelrechten Wallace-Boom aus. In einer Bühnenfassung von Florian Battermann und Jan Bodinus, der auch die Regie übernommen hat, treiben nun Die toten Augen von London nach dem 1924 erschienenen Roman von Edgar Wallace (1875 – 1932) ihr Unwesen in Bad Godesberg. Undurchsichtig bis zur letzten Minute.

Seine letzten Stunden verbrachte der Kanadier Gordon Smith ausgerechnet in einem kleinen Londoner Theater. Dass dem älteren Herrn das Stück so missfiel, dass er in der Pause ging und verzweifelt in die Themse sprang, hält Scotland Yard zu Recht für ziemlich unwahrscheinlich. Zumal es nicht die ers­te Wasserleiche ist und mit den anderen vieles gemeinsam hat: Smith war reich, alleinstehend und vermachte sein gesamtes Vermögen wohltätigen Einrichtungen, was aller Ehren wert ist und manchmal leider tödlich. Dass es Mord war, erfahren die Zuschauer im Kleinen Theater schnell. Denn sie erleben gleich zu Anfang, wie im dichten Nebel bei einer gottverlassenen Underground-Station der hühnenhafte blinde Jake zugreift und sein schauerliches Gelächter nachhallt.

Über einen sehr speziellen Witz verfügt der bekannte Schauspieler Martin Semmelrogge, der auch als Inspektor Larry Holt gern mit seinen guten Beziehungen zur Justiz kokettiert und von seinen Chefs am besten an der langen Leine geführt wird. Der Mann hat unter seiner struppigen Frisur immerhin ein helles Köpfchen. Nicht ständig die besten Manieren, aber eine Kombinationsgabe, die ihn schnell auf die Spur der Hausiererbande „Die toten Augen von London“ und in ein sehr düsteres Blindenheim führt. In dieses schleust er seine reizende junge Assistentin Diana Ward ein. Anna Bergman ist in der Rolle perfekt: eine furchtlos zupackende Blondine und mit ihrem selbstbewussten Charme unwiderstehlich. Außerdem hat Miss Diana ihre Empathie und Durchsetzungskraft im Waisenhaus gelernt, was zu ihrer feuererprobten Identitätsfindung Einiges beträgt. Dass ihr einsames Herz gerade für Old Larry entflammt, ist eine Ge­schmacks­frage, die man nicht weiter untersuchen ­sollte.

In der raffinierten Ausstattung von Christian Baumgärtel funktionieren die flotten Schauplatzwechsel jedenfalls filmreif. Dustin Semmelrogge gibt den sympathischen kleinen Gauner Flimmer Fred, der keiner Katze was zuleide tun könnte, aber mehr weiß, als die Polizei erlaubt. Karl-Heinz Dickmann ist der undurchsichtige Versicherungsmanager Dr. Stephan Judd mit Subventionsbedarf für ein kleines Privattheater. Die Stücke seines a­nonymen Autors sind nämlich dramaturgisch mindestens so kriminell wie die Entwirrung der Handlungsfäden der „Toten Augen“. Der fromme Reverend John Dearborn (Heiko Heynert) hat derweil seine Schäfchen im Blindenasyl voll im Griff.

Dass sowohl Diana als auch die geistig verstörte alte Heiminsassin Emma Fitzgerald (Ursula B. Kannegießer) die Blindenschrift beherrschen, erweist sich als Glücksfall. Den mit einem Minihirn unter der Glatze gesegneten Mörder Jake (Erwin Kleinwechter, der auch als diensteifriger Totengräber fungiert), trifft rechtzeitig eine Pistolenkugel. Wer hinter dem blutigen Geschäft steckt, sollte man jedoch selbst herausfinden. Wir verraten nur, dass es bedrohlich nass wird für Inspektor Holt, bevor die Handschellen vermutlich lebenslänglich zuschnappen. Solide unterhaltsames Hochspannungstheater, das bei der Premiere mit entsprechendem Beifall belohnt wurde. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2¼ Stunden,
inkl. einer Pause
Die Letzten Termine: 26.12., 27.12.13

Donnerstag, 30.01.2014

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 19.04.2024 16:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn