Metropolis - kultur 101 - Dezember 2013

Metropolis in der Halle Beuel: Unheimliche Maschinenwelt

Das Foyer der Halle Beuel ist einladender geworden, im entkernten Bühnenraum kommt die alte Industrie-Architektur wieder zur Geltung. Nicht alle Mauern sind echt, selbst die Zeit hat Metropolis-Herrscher Joh Fredersen für seine im Untergrund schuftenden Arbeitssklaven neu eingeteilt. Deren Tag hat zwei Schichten à 10 Stunden, während die Oberklasse und ihre jeunesse doré sich 24 Stunden lang bei Sport und Spaß in paradiesischen Gärten tummeln darf.
Die sieht man nicht im düsteren Bühnenbild von Julia Kurzweg. Der Regisseur Jan-Christoph Gockel und der Dramaturg David Schliesing haben aus dem 1927 mit mäßigem Erfolg uraufgeführten monumentalen Stummfilm Metropolis ein Theaterspektakel entwickelt, das die expressionistische Ästhetik eindrucksvoll aufnimmt und die Sprache dazu neu erfindet.
„Es gibt für den Erfindungsgeist des Menschen keine Utopie; es gibt nur ein Noch-Nicht“, erklärt der junge Fredersen. Im elektronischen Zeitalter ist Vieles Realität geworden, was vor gut 85 Jahren noch als Hirngespinst erschien. Das in einer restaurierten Fassung zum Kultfilm avancierte Kino-Opus ist eine ziemlich wilde Mischung aus sentimentaler Love-Story, Vater-Sohn-Konflikt, christlicher Erlöser-Geschichte, biblischen Motiven, faschistischer Symbolik und anarchischen Revolutionsphantasien, Frankenstein-Romantik und apokalyptischen Visionen. Die Rezeptionsgeschichte des Werkes, dessen Entstehung einst Unsummen verschlang, lassen die Schauspieler nach der Pause als Insiderjoke Revue passieren. Der Witz sind jedoch die Skelett-Puppen, deren hölzerne Köpfe erschre­ckend denen der menschlichen Darsteller gleichen, während sie mechanisch Apparate bedienen und den Kapital-Kreislauf auf Hochtouren halten.
Die Figuren hat der Schauspieler Michael Pietsch gebaut, der auch den geheimnisvollen Rotwang verkörpert. Dieser erschafft nach dem Vorbild der echten Maria eine künstliche Frau, die einen Arbeiteraufstand kanalisieren soll. Die junge Mareike Hein spielt dieses Maschinenwesen ebenso eindrucksvoll wie die lebendige Frau, in die sich Joh Fredersens Sohn Freder unsterblich verliebt. Hajo Tuschy ist dieser leicht blässliche Kronprinz des Metropolis-Imperiums, der sich in die Katakomben der Ausbeutung wagt und beinahe einem fiebrigen Albtraum erliegt. Wolfgang Rüther trägt als Herrscher der Mega-City plissierte Rockhosen (Kostüme: Annit Epstein) zur schwarz-weiß gestreiften Frisur und wandelt sich im Lauf der Geschichte zum verständnisvollen Vater. Obwohl er erst mal seinem Sprössling den Schmalen (Andrej Kaminsky als regimetreuer Spion) auf die Fährte setzt. Als mehr oder weniger hilfreiche Freunde entpuppen sich der gefeuerte Sekretär Josaphat (Benjamin Grüter) und der sympathische Arbeiter Georgi (Norbert Höller), dessen Nummer 11811 Freder zeitweise selbst übernimmt.
Als Grot, Wächter der Herz-Maschine, fungiert die Apple-Software Siri, die wirklich sehr glaubwürdig klingt und am Ende nach der Bestätigung des Passworts die Tür ins Freie öffnet. Da wärmen sie sich, angetan mit Tierfellen, am archaischen Lagerfeuer und werfen den Knochen in die Luft, der in Stanley Kubricks 2001 in der wahrscheinlich berühmtesten Bildmontage der Filmgeschichte flugs zum Erdsatelliten mutierte. Zurück in die Steinzeit ist keine Lösung angesichts des unaufhaltsamen technischen Fortschritts. Die Maschinenmaria wird anders als im Film nicht als Hexe verbrannt, sondern einfach auseinander geschraubt. Ein leiser Aufstand gegen die Verdinglichung der Menschen im Wahnsinn der großen Maschine, die heute Google oder Facebook heißt.
Eine atemberaubend aktuelle Inszenierung auf der Folie eines alten Kinoklassikers und ein eigenwilliges Theater-Experiment zur Debatte über die Möglichkeit einer Zukunft unseres auf die Selbstzerstörung hin taumelnden Planeten. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2¾ Stunden, inkl. einer Pause
Die nächsten Termine:
6.12./8.12./10.12./12.12./15.12./
21.12./28.12./8.01./10.01./12.01.

Donnerstag, 09.01.2014

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