Professor Przeprzyborschtschuschkr oder Zahlen lügen nicht - kultur 59 - Oktober 2009

Die Mathematik der Sprache: "Professor Przeprzyborschtschuschkr oder Zahlen lügen nicht" in der Pathologie

Dass die Grenzen meiner Sprache die Grenzen meiner Welt sind und dass man über das, wovon man nicht sprechen kann, schweigen muss, gehört seit Ludwig Wittgensteins 1922 unter dem Titel „Tractatus logico-philosophicus“ erschienenen Hauptwerk zu den linguis­tischen Gemeinplätzen. Seit Jahren auf der Suche nach dem, was man überhaupt objektiv sagen kann, ist der Sprachforscher Leopoldo. Entschlüpft aus Erzählungen von John Phoenix und John S. Robb, ohne Zweifel inszeniert von Martin Schnick und ganz allein gespielt von Thomas Franke. Mit einem Störwerk nach Shakespeare in Schnicks Regie wurde Franke übrigens 2000 beim New Yorker Fringe-Festival als bester männlicher Darsteller ausgezeichnet.
Leopoldo verwechselt mit Hilfe seiner feinen Nase selten seinen rechten Schuh mit dem linken, findet seine Nachbarin Vivian deutlich attraktiver als die letzte deutsche Rechtschreib­reform und blinzelt unter seiner Perücke so gelehrt, dass der Zusammenhang zwischen Schädelform und Hirntätigkeit keiner weiteren Erörterung bedarf. Zumal der berühmte Phrenologe Professor Przeprzyborschtschukr (spricht sich einfach so, wie man’s schreibt) die Bonner Pathologie heimgesucht hat, der die moralischen und geistigen Fähigkeiten des Menschen physiologisch erklärt. Oder vermisst, was jetzt leider so doppeldeutig ist, dass Leopoldo sein Haupt tapfer von der unbestechlichen akademischen Kapazität vermessen lässt und zahlt. Oder zählt, denn Zahlen sind bekanntlich eindeutig. Mit einem simplen Dezimalsystem wären z.B. ein paar Adverbien präzisierbar und leidige Übersetzungsprobleme elegant zu lösen. 98 verliebt wäre weitaus klarer als ein schwaches „sehr“, ein ehrliches 75 bei zarten Annäherungen ein 52 weiterführendes Kompliment, und ein ungalantes 22 schön könnte das Ende einer Beziehung 78 ankündigen.
Dass Zahlen nicht lügen, bedarf zwar noch eines schlagenden Beweises. Weil Professor P. seine Untersuchungen 48 schlau aufs Zwerchfell stützt, 33 überzeugend diverse Gehirnregionen erforscht hat und 19 sicher ein philosophischer Scharlatan ist, klappt Leopoldos logico-grammatischer Selbstversuch 50 passabel. Nur Vivian scheint die kühne wissenschaftliche Entdeckung ihres Verehrers 00 zu würdigen. Wobei das System ohnehin noch nicht ganz ausgereift ist. Eine Reduzierung auf die binäre Struktur der Computersprache ist zu erwägen: 0 oder 1 – der Rest bleibt Literatur. Wie das absurde Sprachspiel zwischen Couch und Flaschen aus dem schier unerschöpflichen Hintersinns-Erforschungslabor des Schauspielers Thomas Franke und des Professors Przeprzy… mit den zungenbrecherischen labiodentalen Zischlauten.

Ca. 50 zahl- und geistreiche Minuten mit logico-philosophischen Aufheiterungen; ein mehrfach nicht bestandener Pisa-Sprachkompetenztest wird bei jeder Kartenbestellung 100 ignoriert. E.E.-K.

Donnerstag, 04.02.2010

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