Musik ist Trumpf - kultur 59 - Oktober 2009

Revue der schrillen Siebziger - Musik ist Trumpf im Kleinen Theater

RAF-Terror und Deutscher Herbst – alles Schnee von gestern, wenn Familie Malente das unverwüstliche deutsche Liedgut Revue passieren lässt. Vor dem satirischen Zugriff dieser ausgeflippten Showprofis ist kein Schlager sicher. Nach den unvergesslichen Souvenirs der goldenen Fünfziger Jahre und den blumigen Hits der wilden Sechziger (Mit 17 hat man noch Träume) glänzen sie jetzt im Kleinen Theater Bad Godesberg mit Musik ist Trumpf und beweisen mit sicherem Gespür für alle skurrilen Peinlichkeiten des Folgejahrzehnts: Die intelligente Parodie kann das Original locker übertreffen!
Die Geschwister Vico und Peter Malente als Jürgen und Markus (Jürgen Markus?), Christin Deuker als kesse Monika und die kurzfris­tig eingesprungene, aber mit der Sache bes­tens vertraute Bianca Arndt als flotte Gisela sind ein sängerisch und tänzerisch umwerfend gutes Quartett. Die musikalischen Arrangements sind perfekt – gesungen wird trotz Mikroport-Verfremdung, vom Band zugespieltem Backgroundchor und Orchester absolut live, weil die Malentes für Playbacks viel zu gut sind. Bei einigen turbulenten Plateausohlen-Nummern (Choreographie: Sebastian Kraft) geraten zwar der Bühnenplafond und die Köpfe in der ersten Reihe in Gefahr, wofür jedoch schon die vielen tollkühnen Kostüme (männliche Pepitahosen mit Schlag sind nur noch von hautnahen grasgrünen Jeans und weiblich von pink bis orange changierenden Outfits zu toppen) und soliden Papprequisiten (Ausstattung: Knut Vanmarke) und die wie immer blendende Regie von Dirk Vossberg entschädigen.
Immer wieder Sonntags flossen klebriges Tritop oder süffiger griechischer Wein durch deutsche Kehlen, nachdem man wegen Ölkrise mit dem umweltfreundlichen Bonanzarad über abgasfreie Autobahnen gestürmt war und sein Bett im noch nicht genmanipulierten Kornfeld aufgeschlagen hatte. Auf den perlweißen Einbauküchenfronten prangten kunterbunte Prilblumen, ein leibhaftiger General sorgte für die blitzsaubere balibraune Badewanne, und die emanzipierten Herren überzeugten sich davon, dass das bisschen Haushalt doch mit links zu erledigen sei. Sie trugen freiwillig bügelfreie Polyesterhemden, merkwürdige Strickpullunder und ließen sich nach dem siegreichen Kampf mit dem Staubsaugerdrachen von Jacobs Krönung verwöhnen, während ihre mehr oder minder angetrauten Lebensabschnittsgefährtinnen vom Jungen mit der Mundharmonika und Ferien an der Cos­ta Cordalis träumten. Oder mit bombenfesten Dauerwellen prunkten, während sie unter der Trockenhaube mit Emma die Frauenbewegung probten. Die ZDF-Hitparade war ein nationales Ereignis, Peter Frankenfelds Show Musik ist Trumpf flimmerte über fast die Hälfte aller Bildschirme der Bundesrepublik, und selbst für die Brüder und Schwestern im Osten blühte der Enzian tiefblau. Wer der Akropolis Adieu sagte, bekam melancholisch weiße Rosen aus Athen und fuhr mit Neckermann nach Krk oder auf jugoslawische Campingplätze.
Allein der kurze Auftritt von Mireille Mathieu ganz in Rot ist schon jede einzeln geschüttelte Ponyfranse in der gnadenlos verrückten Rückschau wert. Bis zum traurigen Tag, an dem der bekiffte Conny Kramer starb und unter tränenreichem Glockengeläut noch längst nicht das Ende einer schauerlich fröhlichen Epoche bedeutete. Derrick ließ den Wagen vorfahren, unter Aktenzeichen XY wurde immerhin der Verfolger des enervierten Mädchens „im Wagen vor mir…“ enttarnt. Sesamstraßen- und Schulmädchenreport-erprobte Eltern steigerten die Einkünfte von Familienrichtern, Hobbytheken und zärtlichen Zügen nach Nirgendwo.
Keine echte Story, aber wunderbarer Blödsinn aus den Tiefen der jeder Beschreibung spottenden Partykeller. Was selbst jene ungehemmt mitschwingen lässt, die 1970 wahrscheinlich noch im platonischen Ideenhimmel schlummerten. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2¼ Std., eine Pause
Im Programm bis: 30.09.09
Nächste Vorstellungen: 26./27./30.09.09

Dienstag, 02.02.2010

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 20.04.2024 10:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn