Król Roger - kultur 58 - Juni 2009

Der träumende König und der fremde Gott - Król Roger von Karól Szymanowski in der Oper

Roger, König von Sizilien, ist einsam und unsicher. Die goldene Papierkrone setzt er sich widerwillig aufs Haupt und erschrickt vor seinem Garderobenspiegel, der nicht umsonst „Psyche“ genannt wird. Ein melancholischer, alternder Herrscher auf der Flucht vor der politischen Macht und seiner persönlichen Identität. Die wuchtigen byzantinischen Gesänge im Dom von Palermo scheinen ihn zu erdrücken. Der geheimnisvolle Hirte, der eine neue hedonistische Religion predigt und den christlichen Glauben bedroht, taucht jedoch nicht als strahlender Jüngling auf, sondern als Rogers Doppelgänger im selben Gehrock aus schwerem rotem Samt, trägt aber statt der Herrschaftsinsignien lächelnd eine rote Rose als Zeichen der sinnlichen Sehnsucht. Rogers Begehren gilt dem geheimnisvollen schönen jungen Mann (bezaubernd: Felix Stadler), der immer wieder mit einem Tennisschläger bewehrt auftaucht. „Mehrmals saß er auf einer Bank im Park, um Tadzio zuzuschauen, der sich, weiß gekleidet und farbig gegürtet, auf dem gewalzten Kiesplatz mit Ballspiel vergnügte, und Hyakinthos war es, den er zu sehen glaubte und der sterben musste, weil zwei Götter ihn liebten.“ heißt es in Thomas Manns Der Tod in Venedig.
Der international höchst renommierte Opern- und Schauspielregisseur Hans Hollmann (*1933 in Graz), hat die 1926 in Warschau uraufgeführte Oper Król Roger (Der König und der Hirte) des Polen Karol Szymanowski (1882 – 1937) subtil kurzgeschlossen mit Thomas Manns 1912 kurz nach dem Tod von Gustav Mahler erschienener Novelle. Der historische Normannenkönig Roger II. (1195 – 1254) ist also nicht nur eine Spiegelfigur des Komponisten, der seine Homosexualität im katholischen Polen relativ offen lebte, sondern auch eine Spiegelfigur von Gustav Aschenbach, der sich todessüchtig in den schönen polnischen Knaben Tadzio verliebt. „Der Traum ist zu Ende geträumt! Die Kette der Trugbilder zerrissen!“ behauptet der Gelehrte Edrisi am Ende. Hollmann inszeniert den großen Traum des König Roger und seine ‚heilige Angst’ vor der Begierde nach dem gottgleichen Schönen und dem Verlangen, ein Anderer zu sein. Szymanowskis symbolische Verknüpfung der christlichen und arabischen Welt mit der heidnischen Antike verdichtet er in einem Schauplatz: dem griechischen Theater des letzten Aktes. Bühnenbildner Hans Hoffer hat dafür ein großes, graues Amphitheater-Halbrund mit steilen Rängen auf die Opernbühne gebaut, wunderbar ausgeleuchtet von Max Karbe. Raffinierte Videoprojektionen reflektieren die sich überlagernden Traumschichten. Hollmann erfindet spektakuläre Bilder für die stringente Traumlogik seiner Interpretation. Die Entstehungszeit von Szymanowskis Meisterwerk war auch die Blütezeit der Psychoanalyse. Edrisi – glänzend verkörpert von dem Tenor Mark Rosenthal – sieht aus wie Sigmund Freud und wird zum treuen Wegbegleiter Rogers auf seiner Reise ins Unbewusste. Roger entfernt sich langsam aus der rationalen Welt und verliert sich in seinen homoerotischen Wunschfantasien, ist gleichzeitig erschüttert, abgestoßen und fasziniert von der fremden Sinnlichkeit.
Zwischen apollinischer Vergeistigung und dionysischem Rausch bewegt sich die facettenreiche, berückend schöne Musik, die Generalmusikdirektor Stefan Blunier am Pult des blendend allen prachtvollen Goldglanz und alle duftig vielfarbig schillernden Töne exzellent meis­ternden Beethovenorchesters opulent aufblühen lässt. Ungemein intensiv und psychologisch absolut überzeugend gestaltet der Bariton Mark Morouse die höchst anspruchsvolle Titelrolle. Er ist ständig präsent auf der Bühne, die die Arena des Kampfes zwischen seinem „Ich“ und seinem „Über-Ich“ ist. Der Tenor George Oniani singt verführerisch glänzend den Hirten, Rogers zur Person gewordenes „Es“. Am Ende wird er als Gott Dionysos vom Himmel schweben und zur „ewigen Wanderung“ rufen. Ein riesiges leuchtendes Pendel schwingt vorher über der Bühne und lässt Raum und Zeit ineinander aufgehen.
Asta Zubaite (als Mitglied des Opernchores eher für die tiefere Stimmlage zuständig) singt hinreißend die Sopranpartie der Roxane. Die hat sich von ihrem Gatten Roger längst entfremdet, wenn ihre Stimme sich von fern ätherisch mit der des Hirten vermischt, dem sie folgen muss in sein Reich der befreiten Lust. Geradezu brutal von pistolenfuchtelnden Seelenhirten (die Chorsolisten Johannes Flögl, Guido Scheer und Dr. Josef Michael Linnek, der zudem die von einigem Metaphernschwulst entschlackte neue deutsche Übersetzung des polnischen Textes verfasst hat – gesungen wird selbstverständlich in der Originalsprache) in Schach gehalten wird das Christenvolk im ersten Akt. Großartig bewähren sich dabei Chor und Extrachor der Bonner Oper unter der Leitung von Sibylle Wagner und der Kinderchor unter der Leitung von Ekaterina Klewitz. Der Bass Ramaz Chikviladze hat einen eindrucksvollen Auftritt als Erzbischof hoch oben auf den Stufen zum Himmel. Die Mezzosopranistin Anjara I. Bartz ist die strenge Diakonissin. Man verlangt den Tod des die Naturgottheit preisenden jungen Hirten, der sich blasphemisch als biblischer ‚guter Hirte’ ausgibt. Am Ende des zweiten Aktes folgen sie ihm alle in seligem Tanz (traumhafte Kostüme: Gera Graf).
Zwischen erloschenen Opferfeuern begegnet Roger im Morgengrauen zum letzten Mal Roxane, die im schwarzen Hosenanzug leicht androgyn erscheint und dem machtvollen Ruf des neuen Gottes zu „uferlosen Ozeanen“ folgt. Die Eindeutigkeit der Geschlechter hat keine Gewalt mehr über Rogers „reines Herz“, das er schließlich der aufgehenden Sonne hingibt. „Ihm war aber, als ob der bleiche und liebliche Psychagog dort draußen ihm lächle, ihm winke (…), vorausschwebe ins Verheißungsvoll-Ungeheure.“ (Thomas Mann).
Eine Aufführung, die man unbedingt erleben muss! Stefan Blunier, ein bekennender Fan der Musik des frühen 20.Jahrhunderts, und der Regisseur Hans Hollmann haben diese Opernrarität so brillant neu ins Licht gerückt, dass die Messlatte für die demnächst an mehreren international führenden Häusern geplanten Neuinszenierungen (bei den diesjährigen Bregenzer Festspielen z.B. kommt Król Roger in Kooperation mit dem Liceu in Barcelona in der Regie von David Putney und der in Bonn bestens bekannten Anne Schwanewilms als Roxane heraus) sehr hoch liegt. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 Std., eine Pause
Im Programm bis: 24.06.09

Donnerstag, 14.01.2010

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