Der Ring - Das Musical - kultur 44 - Februar 2008

Das Verhängnis und die Macht des "Rings" - Der Ring - Das Musical von Frank Nimsgern und Daniel Call in der Oper

Der deutscheste aller deutschen Mythen lebt. Am Rhein natürlich. Denn bei Worms, wo man im Sommer regelmäßig „Nibelungen“-Festspiele feiert, wurde der sagenhafte Schatz schließlich versenkt. In Köln gab die neue Schauspielintendantin Karin Beier mit Hebbels Nibelungen ihren Einstand. Helmut Kraussers ironisches „Nibelungendestillat“ stellte 2005 in der Halle Beuel unter dem Titel Unser Lied die erzählten Geschichtskonstruktionen auf die Probe. Und Tankred Dorst, der Wagners große Operntetralogie in Bayreuth neu auf die Bühne brachte, ließ keinen Zweifel daran: „Meiner Vorstellung nach sind in unserer heutigen Welt die alten mythischen Figuren immer noch vorhanden.“ Bei Frank Nimsgern, als Sohn des berühmten Wagner-Sängers Sigmund Nimsgern (den Wotan sang er übrigens zu Beginn der 90er Jahre auch an der Oper Bonn) mit den Mythen von Bayreuth bestens vertraut, rockt die alte Geschichte, dass das Haus am Bonner Rheinufer bebt. Im Grunde ist Der Ring eine tolle Fantasy-Geschichte, die bei Nimsgern auf wenige Figuren und Handlungsstränge reduziert und wie großes Kino erzählt wird.
Die Musik des renommierten jungen Musical-Komponisten, die ab und zu ein paar Motive aus Wagners Monumentalwerk zitiert, ist fetzig, frech und trotz ihrer Lautstärke ziemlich differenziert. Der fette „Symphonic-Rock“-Orchestersound wird vom Band zugespielt, die „Frank Nimsgern Group“ auf (meistens unter) der Bühne leistet – live und perfekt abgestimmt – mit dem Komponisten selbst an Piano, Sitar, akustischer und E-Gitarre solide Schweiß- und Schwerarbeit. Einige Songs haben Ohrwurmqualitäten. Dass man die Texte nur teilweise versteht, ist dabei durchaus von Vorteil, denn was Daniel Call, der in den 90er Jahren zu den Hoffnungen der jungen deutschen Dramatik zählte, da zwischen Herz und Schmerz zusammengereimt hat, ist ein Stilblütenstrauß, der Wagners schlimmste Wortwallungen bei weitem übertrifft und getrost in den Fluten des Rheins versenkt werden darf.
Auf dessen Grund hüten bekanntlich die Rheintöchter den Nibelungenschatz und den Macht verheißenden Ring. Hier sind es vier: Sehr blond, sehr ansehnlich, IQ tendenziell null. Die Zipper an ihren bonbonbunt glänzenden Overalls (phantastische Kostüme von Gabriele Jaenecke) geben deren reizvolles Innenleben offenherzig frei. Das Gelispel mit breitem Dialekt und diversen Akzenten ist bestenfalls Soap-Parodie. Aber Judith Jakob, Michaela Kovarikova, Stephanie Theiß und Maricel Völk sind sängerisch und tänzerisch blendend gut – wie das ganze hochprofessionelle Darstellerensemble, das die Oper Bonn für diese Produktion engagiert hat. Darius Merstein-MacLeod spielt einen herrlich verschlagenen Alberich, der den munteren Nixen das Gold und den Ring raubt, dafür auf die Liebe verzichtet und zum brutalen Herrscher mutiert: „Früher war ich wenig, heute bin ich König“. Der stimmgewaltige Karim Khawatmi ist ein beeindruckender Göttervater Wotan, der Alberich listig den Ring entwendet und damit den Bau seiner Burg Walhall bezahlt. Der mörderische Kampf der Riesen um das Gold taucht als Schattenspiel auf, der Drache mit zähnefletschendem rotem Maul als riesige Projektion. Um dieses Biest zu besiegen, bas­telt sich Alberich in seinem Frankenstein-Labor aus einer Mischung zwischen Backofen und eiserner Lunge den germanischen Recken Siegfried: „Es ist ein Junge!“. Der ist auch sehr blond und schön (Marcus Hezel), trägt außer stählernen Muskeln nur einen goldenen Slip und hüpft sofort zum Amboss seines Schöpfers, um das neonrot glühende Schwert Nothung zu schmieden, den Drachen zu erledigen und den Ring zu erobern. Derweil hat Brunhild, Wotans Lieblingstochter, Probleme mit ihrem göttlichen Papa. Der Alte klebt an seinem dekadenten Lebensstil und verweigert sich der Verantwortung seiner Herrschaft: „Du tappst in die eigenen Fallen, du müdes altes Tier. Wolltest immer nur gefallen und gefällst jetzt nicht mal dir.“ Die großartige Aino Laos als Brunhilde ist das emotionale Zentrum der Inszenierung. Sie macht als aufmüpfige Walküre in schwarzem Lack ebenso gute Figur wie als schlichtes Mädchen im weißen Kleid und Turnschuhen. Wotan, der ihre Kritik nicht gern hört, verbannt sie zum Dauerschlaf in einen Feuerkreis irgendwo auf einer Felsterrasse, wo Siegfried sie erweckt: „Wie du mich erregst, wenn du dich auf mich legst.“ Da wachsen riesige rote Mohnblüten (ach ja: „Opium fürs Volk“) zwischen den Spinnennetzen der überkommenen Mythenmacht in den Himmel der Götterdämmerung. Die Bühne von Heinz Hauser mit ihren raffinierten Bewegungseffekten und Schwindel erregenden Spiegelungen ist ohnehin ein absolutes Meisterwerk (Kompliment an die Bonner Bühnentechnik und das Lichtdesign von Thomas Roscher und Max Karbe!)
Wotan missfällt die Liebeswahl seiner Tochter, zumal er den Ring von seinem neuen Besitzer, der sich jetzt an dessen Magie berauscht, zurückhaben will. Siegfried soll sterben, was Brunhild tatkräftig zu verhindern weiß. Die Väter haben ausgedient. Brunhild tötet Wotan, Siegfried tötet Alberich. Die Macht der Liebe befreit die Welt von der gewalttätigen Macht des unglückseligen Ringes. „Sei du selbst“, lautet die schlichte Botschaft.
Der versierte Opern- und Musicalregisseur Christian von Götz hat um die opulent bebilderte Geschichte eine Rahmenhandlung inszeniert, die Nimsgerns Konzept spielerisch klug in der Gegenwart verankert. Eine kindliche Brunhild (Leonie Groß / Greta Handke) liest tonlos das große Buch der Väter. Ihr versoffener Pennerpapa (Volker Hoeschel) liest die Zeitung. Zusammen mit einem Siegfried als Kind (Till Kramer / Tim Kreitz) und einer jugendlichen Brunhild (Hanna Bonhoeffer) beobachtet sie das fremde ferne Spektakel. Im Vordergrund wird daraus ein stummes Kinderspiel mit dem tödlichen Ernst der Erfahrung des Erwachsenwerdens. Das schüchterne Brunhild-Double mutiert zur selbstbewussten jungen Frau. Das ist zwar immer noch eine schlichte Botschaft, aber zumindest eine hoffnungsvolle. Das Märchen von der tapferen, klugen Prinzessin und ihrem kühnen, wenn auch nicht übertrieben schlauen Prinzen geht jedenfalls gut aus. Die bösen Mächte der Finsternis schlummern sanft im Mythenschlaf.
Gefochten haben sie in der tollen Kampfchoreographie von Klaus Figge wirklich traumhaft. Und was der Choreograph Marvin A. Smith mit dem makellosen professionellen Ensemble und der Statisterie zur mitreißenden Musik an virtuosen Tanznummern entwickelt hat, ist umwerfend gut.
Der Premierenjubel des teilweise von weither angereisten Publikums war entsprechend. Intelligent ironisch verfremdeter Kitsch für Wagner-Fans, prachtvolle Bespaßung für Musical-Liebhaber. Die Rechnung scheint aufzugehen: Wenn der heftig beworbene „Rock-Ring“ nach vielen ausverkauften Vorstellungen in Bonn noch ein paar Jahre für schwarze Zahlen beim Auftraggeber und Nimsgerns eigener Produktionsfirma sorgt, darf man dafür locker dem alten Vater Rhein ein paar goldene Ringe opfern. Kann auch Blech sein – Hauptsache: Es dröhnt und schimmert. Außerdem ist die Geschichte vom gefährlichen Ring der Macht auch in dieser banalisierten Version immer noch spannend.
E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 3 Std., inkl. Pause
Im Programm bis: 10.06.08
Nächste Vorstellungen: 02.02.08

Donnerstag, 07.08.2008

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