John Gabriel Borkman - kultur 58 - Juni 2009

Der Ruf des Erzes - John Gabriel Borkman von Henrik Ibsen in den Kammerspielen

Nur der unbändige Wille zur Macht ist dem gescheiterten Bankdirektor John Gabriel Borkman noch geblieben. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis, in das er wegen windiger Kreditgeschäfte geriet, hat er seine Wohnung im Obergeschoss der Rentheimschen Villa Jahre lang kaum noch verlassen und mit seiner im Erdgeschoss hausenden Gattin kein Wort mehr gewechselt. Vom einfachen Bergmannssohn hatte er sich hochgearbeitet zum angesehen Bankier. Norwegens Erzgruben wollte er ausbeuten, eine florierende Industrie schaffen und den Menschen Wohlstand bringen. Stattdessen hat er sein ganzes Vermögen verloren und viele andere mit in den Untergang gerissen.
Die junge niederländische Regisseurin Maaike van Langen – Ibsens spätes Meisterwerk John Gabriel Borkman ist ihre ers­te Arbeit in Deutschland – inszeniert die Geschichte vom Ende des Mannes, der für seine Allmachtsphantasien die Liebe und das Leben verriet, extrem konzentriert. Sie präpariert mit scharfem Blick die Symbolschichten des Dramas heraus und entwickelt die Figuren ganz aus ihren psychischen Verletzungen. Auf der kahlen Bühne von Andreas Freichels, deren heller Parkettboden sich im Verlauf zu hölzernen Wellen öffnet, lenkt nichts vom intensiven Spiel des großartigen Darsteller-Ensembles ab.
Einsam sind sie alle in dem Kerker ihres verpass­ten Lebens. Absolut grandios verkörpert Bernd Braun die Titelrolle. Ein innerlich und äußerlich gebrochener Mann mit einem manchmal ans Lächerliche grenzenden stählernen Selbstbewusstsein. Borkman glaubt unerschütterlich an seine große Mission und die Opfer, die diese fordert. Braun wechselt mit ungeheurer Präzision vom Selbstmitleid zur Selbsttäuschung, vom jovialen Machtmenschen zum brutalen Macho, vom sensiblen Musikliebhaber zum gemeinen Zerstörer allen Lebens. Dieser Mensch ist nicht resozialisierbar. Der Erlösung des Erzes aus der Tiefe der Erde gilt seine brennende Sehnsucht, im Schnee hoch oben auf dem Aussichtsberg ergreift die Erzhand zum letzten Mal sein kaltes Herz.
Als ruheloses Wandern eines kranken Wolfes hört seine Frau Gudrun die Schritte Borkmans im Raum über sich. Susanne Bredehöft ist die gehörnte Königin der Nacht im zerbrochenen Reich des gewaltigen Herrschers. Auf dem Kopf trägt sie unter einem Schleier ein merkwürdiges Geweih, dessen eine Spitze von einer Mondsichel oder Kneifzange gekrönt ist (Kostüme: Beatrice von Bomhard). Gudrun ist die ewig betrogene Braut und die verstörte alte Unterweltfee. Sie öffnet und schließt ihren Schleier, je nachdem, was sie noch wahrnehmen will von einer Welt, deren Glanz und Elend sie verhärtet haben. Bredehöft spielt sie mit fast gespenstischer Grazie: ein zerbrechliches Kunstwerk, gläsern zart und eisern stolz. Gudrun glaubt wie besessen an die große Mission ihres erwachsenen Sohnes Erhart, der die Familienehre wiederherstellen soll. Liebe hat Gudrun nie erfahren; Borkman hat die Tochter aus begütertem Haus nur genommen, weil der Aufstieg an der Seite ihrer Zwillingsschwester Ella stockte. Ein anderer Mächtiger begehrte seine Geliebte, Borkman verkaufte sie ihm als Preis für seine steile Karriere.
Anke Zillich spielt die unverheiratet gebliebene, sterbenskranke Ella Rentheim paradoxerweise als fulminanten Einbruch des Lebens in Borkmans Totenhaus: Eine faszinierend starke, kluge, weltgewandte Frau. Ella finanziert den Lebensunterhalt der Familie und hat Erhart wie ein eigenes Kind aufgezogen. Ella, ständig nervös zur Zigarette greifend, hat die Liebe erfahren und zutiefst beschädigt überlebt. Ihre große Auseinandersetzung mit dem alten Borkman ist ein dialogisches Glanzstück.
Wie einst um diesen kämpfen Gudrun und Ella nun um den Sohn. Der Student Erhart, den die Zwiespältigkeit bis in die skurrile Halbglatzenfrisur verfolgt, will schlicht nur leben. Arne Lenk gibt den zwischen Mutter und Tante hin und her gezerrten jungen Mann einerseits als hilflosen Schwächling, andererseits als selbstsicheren Eroberer. Die schöne, ihm an einigen Jahren und viel Lebenserfahrung deutlich überlegene Fanny Wilton (Kornelia Lüdorf als Domina mit frivolen Lackstiefeln) wird seine Führerin in die Freiheit. Die blutjunge, musikalisch talentierte Frida Foldal (mädchenhaft naiv und reizend verwirrt: Philine Bührer) wird als erotische Reserve gleich mit in den feudalen Schlitten gepackt, mit dem Erhart davon rauscht in den romantischen Süden. Nicht ohne zuvor noch beinahe Fridas Vater Vilhelm Foldal zu überfahren. Der durch Borkmans Schuld völlig verarmte Hilfsschreiber und erfolglose Dramatiker ist nicht nur dem alten Visionär mit abgöttischer Treue ergeben, sondern auch noch vollkommen glücklich über den Aufstieg seiner Tochter. Ralf Drexler spielt die abgründige Komik dieser ehrlichen Randfigur der verlogenen Gesellschaft einfach herzzerreißend.
Im künstlichen Nebel ihrer Lebenslügen verfangen sich alle. Aber sie bleiben in jeder Sekunde mit subtiler Klarheit immer auf perfekter Hochspannung: Ibsen radikal pur als Schauspielertheater ohne verflachende Zutaten. Ein gelungenes Wagnis und entschieden sehenswert! Die Übernahme in die nächste Saison ist vorgesehen. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 Std., ohne Pause
Im Programm bis: 27.06.09
Wiederaufnahme in der nächsten Spielzeit.

Donnerstag, 14.01.2010

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