Der Ring des Nibelungen - kultur 34 – Februar 2007

Wilder Wagnerwahn - Der Ring des Nibelungen I - Choreografisches Theater von Johann Kresnik (Uraufführung)

Auf dem Vorhang verschmelzen die Gesichter von Wagner, Nietzsche, Hitler, Marx ineinander. Gescheiterte Utopisten, Ungeheuer im rasenden Taumel der ‚Menschheitsdämmerung', die Johann Kresnik mit seinem Choreographischen Theater konsequent in die Gegenwart der brennenden Ölfelder und amerikanischen Panzer verlängert. Richard Wagners große Geschichte von der Macht des Goldes und der Entmachtung der Götter ist nur die Folie für die Bilder aus dem Leben des Künstlers, die alle sattsam bekannten Wagner-Klischees bedienen, und die plakative Kapitalismuskritik im vertrauten politischen Rundumschlag-Ritual.
Kresnik hat gemeinsam mit seinem Librettisten und Dramaturgen Christoph Klimke die ersten beiden Teile von Wagners "Ring"-Tetralogie, Das Rheingold und Die Walküre, in jeweils 13 Szenen aufgelöst. Für die Ausstattung hat er den berühmten österreichischen Maler und am internationalen Kunstmarkt hoch gehandelten Bürgerschreck Gottfried Helnwein gewonnen, was insgesamt aber ästhetisch nicht sonderlich auffällt. Wagners Musik taucht ohnehin eher selten auf in der zitatengespickten Komposition von Gernot Schedlberger, die überwiegend minimalistisch vom Band plätschert oder live zwei die Bühne in Nazi-Uniformen flankierenden Pianisten überlassen bleibt.
Die Rheintöchter räkeln sich nackt unter ihren wasserstoffblonden Perücken, bis der schwarze Alberich im gruftschwarzen Totenkopf-Outfit (herausragend: Przemyslaw Kubicki) sein Begehren von ihnen ab- und ihrem Goldschatz zuwendet. Sein Liebesverzicht durch rabiate Entfernung des entsprechenden Organs ist ebenso klar wie die Botschaft des zur Belohnung niederprasselnden Geldregens: „Eigentum ist Diebstahl. Das Kapital verspricht Weltmacht.“ Der fatale Ring ist ein vergoldeter Traktorreifen, der das Familienleben der Götter gründlich aufwirbelt, zumal sich ein verdoppelter Wagner selbst (Robert Strajner und Osvaldo Ventriglia) mit Wahn und Traum einmischt. Bayernkönig Ludwig (Sascha Halbhuber) trägt zu seiner himmelblauen Uniformjacke einen unbehosten Unterleib, verschlingt Wagners Noten und spielt mit einem Weltkugel-Ballon wie Chaplins Hitlerkarikatur.
Wagners Antisemitismus mündet direkt in Alberichs Unterwelt mit brennenden Öfen. Der Schrecken bleibt dabei entsetzlich kalt. Beim langen Reigen auf dem roten Teppich von Bayreuth mit den bekannten Film- und Fernsehbildern von Hitler über Adenauer bis zu Stoiber und Merkel und einem munteren Gottschalk verschwindet die bittere Ironie hinter unfreiwilliger Komik von begrenztem Erkenntniswert. Walhall heute als Schnee von gestern.
Wagner und seine Frauen und Geliebten: Klar, gegen die übermächtige Riesen-Cosima (wuchtig: Hans-Jürgen Moll) haben die ewig unterdrückten weiblichen Opfer keine Chance. Und meistens sowieso wenig Kleidung am reizvollen Leib. Dafür ist Sieglinde ein Mann (Rory Stead), was das inzestuöse Wälsungenblut in Wallung bringt zu einem wonnigen maskulinen Liebestanz, die anschließende Schwangerschaft aber nicht plausibler macht. Wotans Gattin Fricka (Daniela Greverath), macht dem hilflosen Göttervater (Patrick Entat) die Hölle heiß und brennt ihm später das Siegel der neuen Weltordnung auf die bloße Haut.
Nach dem düsteren Rheingold wird's in der Walküre heller auf der Bühne, selbst wenn die weißen Laken im Lazarett und Irrenhaus sich bald mit ziemlich viel Theaterblut rot färben. Nietzsche (Ziv Frenkel) verliert zwischen Gitterbett und Zwangsjacke den Verstand - „Wagner macht mich krank“. Wahnfried-Wagner-Wotan wühlt sich durch die keuschen Laken wie durch Eisberge zu warmen Busen. Brünnhilde (anrührend: Vanessa Curado) versorgt mit ihren Walkürenschwestern die gefallenen Krieger, verweigert Papas Mordaufträge und landet in der flammenbewehrten Verbannung.
Es gibt einige sehr starke, sinnlich überzeugende Momente in dieser 100-minütigen Bilderflut mit ihren ständigen inhaltlichen Überblendungen aus Mythologie, Ideologie und Biographie. Es gibt ein athletisch kraftvolles, teilweise brillantes Ensemble, das zwar tänzerisch etwas ausgebremst wird, aber bis zur Erschöpfung mit dem Körper eine Gesinnung zeigt. Leider verflüchtigt sich der Sinn zwischen Revolutions- und Blutrausch, Sex und Gewalt, Genie und Wahnsinn. Es gab bei der Premiere neben den aus aller Welt angereisten Kritikern ein Publikum, das heftig applaudierte. Auch solidarisch, denn nach Siegfried und Götterdämmerung, die für die kommende Saison angedroht sind, soll bekanntlich die Tanzsparte am Theater Bonn weggespart werden. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 1¾ Stunden ohne Pause
Im Programm bis: 21.06.07

Donnerstag, 01.02.2007

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