Der Neurosen-Kavalier - kultur 33 – Januar 2007

Praxis Weihnachtsmann - Der Neurosen-Kavalier von Gunther Beth und Alan Cooper im Contra-Kreis

Süßer die Glocken nie klingen… Zur Weihnachtszeit klingeln noch süßer die Kaufhauskassen - für den Weihnachtsmann Felix Bollmann so unwiderstehlich, dass er gern mal seine langen Finger reinsteckt bei Hortie in Bad Godesberg, Meckenheim oder am Bonner Münsterplatz. In Bonn wurde nämlich vor 25 Jahren der Neurosen-Kavalier geboren, der seit seiner Uraufführung in Stuttgart 1986 zu den erfolgreichsten Therapeuten des Boulevardtheaters gehört. Über 6000 Aufführungen in 82 Produktionen in 7 Ländern neben diversen Fernsehaufzeichnungen nennt Autor Gunther Beth in seinem amüsanten Bericht über die Entstehung des Stückes am Rande von Walter Ullrichs Godesberger Bühne, wo er damals als junger Schauspieler gleichzeitig mit Dieter B. Gerlach (alias Alan Cooper) engagiert war. Aus Amerika stammen also allenfalls die üppig blühenden Neurosen (jeder dritte Bundesbürger hat immerhin auch 'ne Meise, was im Contra-Kreis für munteres Gezwitscher sorgt), aus Wien das Jugendstil-Dekor mit den Porträts der Altväter der Psychoanalyse (Bühne: Gert B. Vensky), aus dem zeitlosen Knacks-Universum die Patienten von Professor Ottos Promi-Praxis. Der Chef scheint die Gesundheitsreform zu genießen, macht gerade Urlaub in San Francisco und hat seinen Kollegen de Witt mit der Vertretung betraut. Natürlich hält die Sprechstundenhilfe Fräulein Engel (sehr blond und süß: Kerstin Fernström) einen hereinschneienden älteren Herrn für den Aushilfschef. Klar, wer nicht Patient ist, muss Arzt sein. Das rote Weihnachtsmann-Kostüm ist praktischerweise ein Wendemantel, mit dem eigenwilligen Kapitaltransfer ist der Neue bestens vertraut, und das bisschen Psychojargon ist ein Klacks.
Wer Felix heißt, ist dem Glück sowieso auf der Spur und kann auch Spuren von klauenden Weihnachtsmännern verwischen. Wenn er zudem auch noch Klaus Biederstaedt ist, das Ganze schon bei der Uraufführung inszeniert und inzwischen den Felix Bollmann fast 900 Mal gespielt hat, steht dem Theaterglück eigentlich nichts mehr im Wege. Der echte Doktor de Witt (Gunther Beth höchstpersönlich) ist zwar ein kleines Hindernis, ließe sich aber brüderlich in die Endphase seiner Habilitation abschieben, wenn da nicht das schwesterliche Engelchen wäre, das ihn dauernd als neurotischen Rosenkavalier in die Praxis zurücklockte.
Die Bestsellerautorin Claudia Carrera mit Schreibhemmung und Bikinikomplex (herrlich durchgedreht: Gabriele Nickolmann) ist schon ein härterer Fall, kriegt aber im neckischen Negligé überm Nymphen-Outfit (Kostüme: Kara Schutte) mit Bollis Hilfe doch noch die Kurve auf der Emo-Autobahn. Der kleine Finanzbeamte Jürgen Appelhans (putzig verklemmt: Philippe Roussel) wird vom verschüchterten Mobbingopfer zum strahlenden Elvis mit Schmachttolle und weißem Glitzeranzug. Der depressive Kommissar Maiwald (Hans Heinrich Rüegg) hängt dem diebischen Weihnachtsmann sehr dicht an den Fersen, muss das aber nicht zwingend wissen. Zumal es bessere Fälle gibt, wie zum Beispiel die reiche Witwe und Erbin eines Champagnerimperiums Sybille Bast. Die elegante Karin Dor scheint das prickelnde Getränk nicht nur im Blut zu haben, sondern ihre charmanten kleptomanischen Goldfinger überall im Einsatz. Man lebt schließlich nur zweimal, und wer einen James Bond wie Sean Connery ebenso um den Finger gewickelt hat wie Lex Barker als Winnetous Blutsbruder Old Shatterhand und nebenbei Hitchcocks Topas veredelte, steckt einen biederen Bolli doch locker in die Tasche. Eigentlich nur dessen abgeschabte Tasche unter den edlen Pelz. Was tatsächlich zum Problem werden könnte, wenn die heiße Knete in der Tasche die flotte Sybille interessierte. Aber die Dame klaut glücklicherweise nur aus ästhetischer Passion. Bei Diva Dor kippt der Klaps in eine absurde Vernunft, mit der sie gleich den ganzen windigen Gauner Bollmann vereinnahmt. Mit viel Herz und verrücktem Witz kann der nach einem fröhlichen Pointensturm alle Patienten als geheilt entlassen. Dumm gelaufen nur für die Kasse von Professor Otto. Der wird sich wohl neue potente Kunden suchen müssen; Bollis Lachtherapie macht das nicht gerade einfach.
Achten Sie also demnächst auf Weihnachtsmänner, die sich auffällig in der Nähe von Kaufhauskassen herumtreiben! Auch scheinbar alkoholisierte Rauschgoldengel können es faustdick hinter den Ohren haben! Lustige Witwen sind mindestens so gefährlich wie diebische Elstern! Trauen Sie keinem Seelenklempner, bevor Sie nicht seine Tasche inspiziert haben! Lassen Sie sich für Rosen vorsorglich einen Krankenschein ausstellen, die Neurosen lauern hinter jedem Tannenbaum. Mit diesem gesunden Misstrauen können Sie sich dann ganz unbesorgt in den Bonner Contra-Kreis bewegen, wo der unverwüstliche alte Neurosen-Kavalier jetzt endlich angekommen ist. Zumal der ein echter Kavalier ist und trotz aller Kavaliersdelikte niemanden unschuldig sitzen lässt… Nicht nur zur seligen Weihnachtszeit ein zuckersüßer Spaß. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 21/4 Std. inkl. Pause
Im Programm: bis 25.02.07

Samstag, 02.01.2010

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