Don Giovanni (kultur 18 - 6/2005)

Röntgenblick auf einen Liebes-Selbstmord-Terroristen
Wolfgang Amadeus Mozarts ”Don Giovanni” in der Oper

Es beginnt mit dem Ende und der wunderbaren scena ultima: Drei schwarze Witwen trauern zur Ouvertüre um den Mann, der alle Frauen begehrte - nicht wegen der Lust an ihnen, sondern wegen des Begehrens selbst. Das riesige Röntgenbild einer Hand ragt von der Seite in den kühlen hellen Raum, den Martin Kukulies auf die Opernbühne gebaut hat. Don Giovanni ist tot und im Leichenschauhaus aufgebahrt. Wie um einen Altar schleichen alle Figuren des unseligen Geschehens stumm um den silbrig glänzenden Katafalk, bis das Objekt ihrer Träume schnöde auf ein Metallgestell geschoben und voraussichtlich im Krematorium entsorgt wird. Don Giovanni ist wahrscheinlich nur eine Projektion aller geheimen Wünsche.
Klaus Weise inszeniert also Kunstfiguren, seziert die Leidenschaften mit so feinen Schnitten, dass kein Blut fließt und der Schmerz erst mit leichter Verzögerung spürbar wird. Sein Mut zur Langsamkeit gibt der Musik viel Raum, macht die psychologischen Feinheiten der Partitur transparent, geht aber auf Kosten der Komödie, die dieses merkwürdige "dramma giocoso" trotz spektakulärer Höllenfahrt des Titelhelden ja doch ist. Es ist eher Erich Wächter am Pult des hervorragend aufspielenden Beethovenorchesters, der unüberhörbar und sehr luzide den notwendigen Witz in die filigrane Schwarz-Weiß-Zeichnung bringt. Und der unter Sibylle Wagners Leitung wie immer glänzende Opernchor bringt sogar Farbe ins Spiel, selbst wenn die Damen auf Schubkarren zur ländlichen Hochzeit transportiert werden. Für ihr kesses Outfit mit viel Beinfreiheit hat Fred Fenner gesorgt, der beim höfischen Ball auch hübsche Anspielungen aufs Rokoko nicht verschmäht.
Andreas Macco ist mit schlankem Bassbariton das elegante Zentrum des Verwirrspiels. Ein rücksichtloser, von sich selbst berauschter Egozentriker, der sich alles nimmt, ohne es tatsächlich besitzen zu wollen. Weise macht ihn nicht zum erotischen Wüstling, sondern zum Melancholiker im Taumel der Sinne, zum Liebesattentäter mit schwarzer Maske über den langen Haaren und zum Lebensspieler, der nur noch den Tod als ebenbürtigen Gegner anerkennt. Seine Champagnerarie singt er eher trotzig als festlich. Beim Ständchen für die Kammerzofe der Donna Elvira bleibt das Fenster im Turm so leer wie all seine Versprechungen. Beim zärtlichsten Liebesduett des ganzen Werkes entfernt sich das ungleiche Paar Giovanni und Zerlina so weit wie möglich voneinander und straft das "Là ci darem la mano" schon gestisch Lügen.
Anna Virovlansky ist mit ihrem glockenhellen Sopran als schnippisches, aber durchaus abenteuerlustiges Bauernmädchen Zerlina ein gesangliches und spielerisches Glanzlicht. Und kann auch handfest zupacken, wenn sie ihrem übel zugerichteten Bräutigam Masetto (feinfühlig, wenn auch mit verhaltener Wut im Bauch und in der schön geführten Stimme: Enrico Marrucci) mit einer Fußmassage wieder auf die Beine hilft und ihm mit ihrem "Vedrai, carino" ein schlichtweg unwiderstehliches Versöhnungsangebot macht. Fiorella Burato als schmählich betrogene Donna Elvira ist mit ihrem warmen Sopran kein Racheengel, sondern die radikal und jenseits aller Vernunft Liebende, die völlig makellos auch das herzlos burleske Verwechslungsspiel mit Leporello übersteht. Eine Heilige der Triebe und eine Hure der Gefühle - die einzige in diesem Stück, die wirklich die Vereinigung mit dem Angebeteten genossen hat, also unheilbar als Nonne im Kloster enden wird. Martin Tzonev als Leporello glänzt mit seinem Buffobass, knallt in der Registerarie der armen Elvira die ganzen Eskapaden seines Herrn um die Ohren und darf am Schluss endlich auch so komisch seine Angst vor dem Friedhofsgespenst ausstellen, dass man ihm einen besseren Herrn als den vom Höllenfeuer verschluckten wünscht. Der Komtur (sehr solide: Andrej Telegin) fällt zwar früh dem Verführer seiner Tochter zum Opfer, leiht aber immerhin noch seinem Denkmal - in Gestalt eines großen Röntgenbild-Kopfes, der auch einer fremden Gottheit gehören könnte - die dunkel funkelnde Stimme.
Donna Anna ist das erotische Rätsel dieser Oper und bleibt es in der Interpretation der makellos schönen und sängerisch adäquaten Irina Oknina auch. Sie nimmt zurück, was sie gespürt hat und zeigt doch, dass sie etwas spüren will, was sie bei ihrem Verlobten Don Ottavio nie finden und deshalb die Hochzeit auch noch aufschieben wird. Dass diesem braven, tüchtigen und treuen Menschen, der sich in allen Wirrnissen nie lächerlich macht, die geheime Zuneigung des Regisseurs gehört, wird deutlich. Patrick Hen-ckens braucht die aber eigentlich gar nicht, denn mit seinen beiden Arien "Dalla sua pace" und "Al mio tesoro intanto" bringt er so viel tenorale Strahlkraft in die Aufführung, dass ihm ohnehin alle Herzen und der Jubel des Publikums zufliegen. Das bürgerliche Ideal zum Angelpunkt dieser Oper zu machen, die im Revolutionsjahr 1789, also zwei Jahre nach der Prager Uraufführung, zum ersten Mal in Bonn zu sehen war, zeugt von einer kleinen Hinterlist, wird aber in dem klar durchdachten Konzept der Inszenierung durchaus plausibel. Deren strenge und teilweise statuarische Ästhetik ist sicher nicht der Stoff für romantische Opernträume, sicher aber ein Stoff zum Nachdenken. Dass man das ganz sinnlich tun kann, beweisen die im Programmheft abgedruckten Zeichnungen und Reflektionen von Bonner Realschülern. Dass man das intellektuell sehr vielschichtig tun kann, zeigt der ebenfalls dort nachzulesende Aufsatz des Musikwissenschaftlers Wolfram Steinbeck. Dass das Prinzip Don Juan noch lange nicht auf den Müllhaufen der Geschichte gehört, behauptet die Inszenierung selbstbewusst auch dann noch, wenn der Held mal in einen blauen Müllsack eingeschnürt wird. Dass man "Don Giovanni" unbedingt hören muss (ganz! also mit den Prager und Wiener Varianten, die hier sorgsam verknüpft werden), ist unstrittig und doch so spannend, dass man beim ewigen Wechselspiel der Liebe auch mal leicht übersättigt wegschauen darf.
E.E.-K.


Aufführungsdauer: ca. 3 1/2 Std. mit Pause

Donnerstag, 15.03.2007

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