Le nozze di Figaro (kultur 35 - März 2007)

Strahlender Mozartkugel-Blitz - Le nozze di Figaro in der Oper

Geradezu ein Feuerwerk an spritzigen Einfällen und komödiantischem Esprit brennt Generalintendant Klaus Weise in seiner Inszenierung von Mozarts Le nozze di Figaro im Opernhaus ab. Dass da aus den zum russischen Roulette gezückten Revolvern eher süße Mozartkugeln knallen als prärevolutionäre französische Schüsse gegen die adelige Endzeit-Gesellschaft, ist konsequent, weil das Ganze ja eigentlich nur Theater ist und - ganz im Sinne von Mozarts Oper - die Akteure immer auch Zuschauer sind. Ganz im Sinn von Beaumarchais' politischer Komödie, die den Stoff für Da Pontes brillantes Libretto lieferte, allerdings nicht immer ganz auf dem Kenntnisstand des Publikums. Wovon bis heute das Boulevardtheater lebt. Auf dem Boulevard der Eitelkeiten drehen sich erst mal die Darsteller, die sich lustig mit Allongeperücken, Rokokorüschen, Miniröckchen, Dinnerjackett und Kunstpelzstolen (Kostüme: Fred Fenner) für einen zeitlosen „Tollen Tag“ verkleidet haben, an dessen Ende natürlich Figaros bürgerliche Hochzeit mit Kammerkätzchen Susanna steht, flankiert bekanntlich von einer mehr oder minder gekitteten adelig herzlosen Ehe, einer zufällig zusammengeschraubten elterlichen und einer leichtsinnig dem Zufall verdankten jungen.
Über all dem wachen in der Bonner Oper ein paar putzige Riesenputti in unschuldiger Nacktkeit (prächtiges Bühnenbild: Martin Kukulies, Licht: Thomas Roscher). Martin Tzonev mit wilder Haarmähne und vielfarbig beweglichem hohem Bass kämpft sich pfiffig durchs Labyrinth der eigenen und fremden Gefühle. Susanne Blatterts Mezzosopran leiht ihrem hinreißend naiven Cherubino all die Gefühle, die der pubertierende Page selbst noch nicht kapiert. Irina Oknina ist eine wunderbar junge Gräfin mit einer Mischung aus Koketterie und Melancholie. Anjara I. Bartz macht aus ihrer Marcellina eine urkomische Dame im besten Hysterie-Alter. Andrej Telegin steht ihr als Bartolo tapfer zur Seite. Stimmlich und spielerisch hinreißend sind auch Mark Rosenthal als quirliger Musikmeister Basilio und Vardeni Davidian als blutjunge, gewitzte Barbarina. Aris Argiris mit seinem strahlenden Bariton ist ein eleganter Almaviva voller erotischer Energie, der seine Finger gern über weibliche Haut streifen lässt, aber auch schon mal beherzt zum Akkuschraubenzieher greift, wenn ihm das Verwirrspiel zu bunt wird. Anna Virovlansky zeigt im kessen Mini viel ansehnliches Bein, wirbelt als Susanna mit viel hellem Verstand unter den blonden Locken über die Bühne und ist mit ihrem feinen, silbrigen Sopran nicht nur das Zentrum der Inszenierung, sondern auch musikalisch einfach entzückend.
Wenn ein mittleres Opernhaus wie Bonn, einen „Figaro“ bei der Premiere komplett aus dem eigenen Ensemble auf solch glänzendem sängerischen und spielerischen Niveau besetzen kann, grenzt das schon an ein Wunder. Wenn man auch bei allen weiteren Vorstellungen mit einem Ensemble aufwarten kann, das dem hier beschriebenen in nichts nachsteht (genannt seien stellvertretend nur Mark Morouse als Almaviva, Julia Kamenik als Susanna und als Gast Dorothee Jansen als Gräfin), ist das ein wirkliches Ereignis. Ein Sonderlob verdient übrigens die Malerwerkstatt für das phantastisch groteske barocke Vanitas-Stillleben, das den verwirrten Seelenzustand der Figuren auf den Punkt bringt.
Dass der Graf in einem lustigen Kauderwelsch nach der Pause vor dem Vorhang erklärt, die Sache sei „fucking complicated“, dass die Gräfin ihren Schmerz einem „Röhrender-Hirsch-Gemälde“ gesteht (klar: der Gatte ist dauernd auf der Jagd) und dass das Landvolk seine Frauen auf Schubkarren hereinfährt (hübsches Selbstzitat aus Weises Don Giovanni), sind nette Gags. Wenn der wie immer blendend gute Chor unter der Leitung von Sibylle Wagner dem Möchte-Gern-Sonnenkönig, aber eigentlich nur jämmerlich in seine nächtlichen Eskapaden verstrickten Duodezfürsten Almaviva die Sonnenblumen vor die Füße knallt, scheint bei aller heiteren Unbeschwertheit dennoch etwas von der politischen Aufmüpfigkeit der Geschichte auf. Mozarts raffiniertes erotisches Verwirrspiel mit dem zwischen Männlich und Weiblich, Jung und Alt, Diener- und Herrschaft changierenden Verkleidungs-Durcheinander und der entsprechenden Mixtur der sozialen Stände mit deutlichem Intelligenz-Plus auf der gesellschaftlich schwächeren Seite und einem unwiderstehlichen Sympathie-Plus beim weiblichen Element, stellt ständig die persönliche Identität der Figuren auf den Prüfstand. Klaus Weises Inszenierung besteht diese Probe aufs Exempel der Konfliktvermischung mit frecher Selbstironie absolut brillant. Das Beethovenorchester unter der umsichtigen, sensiblen Leitung des ständigen Gastdirigenten Erich Wächter unterstützt das bravourös mit vielen Glanzlichtern.
Eine unbedingt sehens- und hörenswerte Aufführung! E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 31/4 Stunden ohne Pause
Im Programm bis: 15.06.07


Dienstag, 12.01.2010

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